MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
besänftigte, was immer der Grund dafür auch sein mochte.
Diesmal jedoch wollte ihm das nicht so recht gelingen. Der Besuch der Schwarzmagierin am Vorabend hatte ihn noch heftiger aufgewühlt als die Albträume in den Nächten davor. Obwohl er die Ereignisse vor vierzehn Sommern ohnehin nie vergessen würde - dafür sorgte schon die schwarze Augenklappe, die er seit damals wie ein nicht wiedergutzumachendes Mahnmal im Gesicht trug -, hatte Sâga doch erreicht, dass seine Erinnerungen wieder so lebendig wurden, dass sie ihm nicht für eine Sekunde aus dem Kopf wollten. Alles stand so deutlich vor Rhogarrs innerem Auge, als wäre es erst gestern geschehen.
Soweit er sich zurückerinnern konnte, hatte er stets mit dem Gedanken geliebäugelt, das Nivland zu überfallen und es seinem eigenen Reich, der Marschmark, einzuverleiben. Zum einen hätte das seine Macht und sein Ansehen in Mysteria erheblich vergrößert. Zum anderen gelüstete es Rhogarr auch nach dem sagenhaften Alwenhort, der sich seit undenkbaren Zeiten im Besitz der nivländischen Herrscher befand. Dabei wusste niemand Genaues über den geheimnisvollen Schatz. Kein Fremder hatte ihn bislang zu Gesicht bekommen, und niemand konnte angeben, wo er sich befand. Sein Versteck war nur dem jeweiligen Herrscher des Nivlandes bekannt, der das Geheimnis seinem jeweiligen Nachfolger, meistens seinem erstgeborenen Sohn, auf seinem Sterbelager anvertraute. Verschied der König jedoch vor der Zeit oder wurde er in einer Schlacht oder bei sonstigen Kampfhandlungen getötet, bevor noch sein Nachfolger feststand, dann sorgte die Hüterin des Horts dafür, dass einzig und alleine der rechtmäßige Thronfolger Kenntnis von dem sagenhaften Schatz erhielt.
Kein Wunder also bei solcher Geheimhaltung, dass die unterschiedlichsten und abenteuerlichsten Gerüchte über den Alwenhort in Umlauf waren. So widersprüchlich die jedoch auch sein mochten, in einem stimmten sie alle überein: dass der Schatz nicht nur aus unermesslichen Mengen von Gold und Silber und anderen edlen Metallen und Steinen bestand, sondern auch einige wundersame Artefakte enthielt - Ketten, Ringe und anderes mehr -, deren magische Kräfte sich auf ihre jeweiligen Träger übertrugen. Genau wie bei Sinkkâlion, dem Königsschwert. Verständlich, dass über die Jahrhunderte schon unzählige Männer danach getrachtet hatten, den Schatz in ihren Besitz zu bringen - und dennoch war das bislang noch niemandem gelungen.
Das allerdings war nicht der Grund, warum Rhogarr von Khelm lange Zeit vor einem Angriff auf das Nivland zurückgeschreckt war. Sein Zögern hatte andere Ursachen: Er fürchtete die magischen Kräfte von Sinkkâlion, die König Nelwyn schier unbezwingbar machten. Und er hatte große Angst vor Mordur von Kra’naak, dem Herrscher des Grimmen Reiches.
Mordur verfügte zweifelsohne über die stärkste Streitmacht von ganz Mysteria, die den Truppen der Marschmark nicht nur in der Zahl der Krieger, sondern auch in der Ausrüstung weit überlegen war. Zudem hatten Rhogarrs Spione herausgefunden, dass Mordur längst selbst an einen Überfall auf das Nivland dachte, aber bislang aus dem gleichen Grund wie Rhogarr davor zurückgeschreckt war: weil er die magische Macht Sinkkâlions ebenfalls fürchtete. Für den marschmärkischen Herrscher ließ das nur eine Schlussfolgerung zu: Wenn er das Nivland überfallen würde und damit tatsächlich Erfolg haben sollte, wäre das für Mordur das Signal zum sofortigen Angriff. Weil damit nämlich der Beweis geliefert wäre, dass die Macht des Königsschwertes gebrochen werden konnte. Ganz zweifellos würde dann der Herrscher des Grimmen Reiches seine Furcht vor Sinkkâlion ablegen wie einen lästig geworden Umhang in der Sommerhitze und in das Reich der Alwen einfallen - womit er selbst, Rhogarr von Khelm, wieder genauso weit wäre wie vor seinem Überfall.
Dieses Dilemma hatte ihn über Jahre beschäftigt. Unzählige Male hatte er sich den Kopf zermartert, hatte nächtelang darüber nachgegrübelt und war dennoch zu keiner brauchbaren Lösung gekommen. Eines Nachts jedoch hatte sich das Blatt für Rhogarr gewendet: Sâga, die Schwarzmagierin, war unverhofft bei ihm aufgetaucht und hatte ihm einen Plan unterbreitet, der ebenso einleuchtend wie Erfolg versprechend klang. Doch noch immer hatte Rhogarr gezögert, bis ein schrecklicher Zwischenfall seine letzten Bedenken hinweggefegt hatte:
Bei einem Jagdausflug im Grenzland der Marschmark
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