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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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frühere Geliebte geheiratet. Sie hatten ein eigenes Baby. Wann immer ich sie besuchte, war ich ihnen willkommen, und mein Vater sorgte stets dafür, dass ich alles bekam, was ich brauchte, soweit es materielle Dinge betraf. Aber das Leben in L. A. gefiel mir nicht besonders; ich zog mein altes Zuhause und die Stadt vor, in der ich aufgewachsen war.
    Meine Mutter hörte mit dem Trinken auf als ich fünfzehn war. Offen gesagt, war es ein Schock für mich. Ich kam von einer Klassenreise nach Europa zurück und fand plötzlich diese Fremde vor, die mich erwartete. Nun ja, eigentlich keine Fremde: eher die Mutter, die ich gekannt hatte, als Cassie noch lebte. Einen äußerst unangenehmen Augenblick lang war es so, als wäre ich wieder in der Vergangenheit; ich fühlte, wie es mir kalt den Rücken herunterlief. Ich weiß nicht, ob etwas Bestimmtes Mutters plötzliche Abstinenz hervorgerufen hatte – irgendein Zwischenfall, der sie bis ins Mark getroffen hatte, wie man es bei Alkoholikern erwartet, bevor sie ihre Sucht überwinden. Wenn es so war, hat sie jedenfalls nie mit mir darüber gesprochen. Sie war allerdings auf eigenen Wunsch in eine Klinik gegangen und nahm nun allmählich ihr gesellschaftliches Leben und ihre Mitarbeit in der Museumsverwaltung und diversen wohltätigen Vereinen wieder auf, denen sie in der Vergangenheit viel Zeit gewidmet hatte.
    Ich muss sagen, dass der Zeitpunkt für mich in gewisser Weise sehr ungünstig war. Das meine ich nicht selbstsüchtig. Ich habe mich wahnsinnig für Mutter gefreut; ich war glücklich, dass sie wieder auf eigenen Beinen stand (im Sinne des Wortes) und endlich das Trauma von Cassies Tod und der Scheidung überwunden hatte. Es war nur so, dass auf dieser Europareise etwas passiert war, das mich so sehr erschüttert hatte, dass ich mich eine Weile in mich selbst zurückziehen musste. Und nun war da diese tatendurstige, scharfsinnige, witzige und kluge Frau, die mich in Unterhaltungen verwickelte, wie wir sie seit Ewigkeiten nicht mehr geführt hatten. Es war, als fühlte sie sich verpflichtet, Interesse an meinem Leben zu zeigen, wozu sie vor kurzem noch nicht in der Lage gewesen war. Was unweigerlich bedeutete, dass sie mir eine Menge Fragen stellte – und tatsächlich den Antworten lauschte, sodass ich sehr vorsichtig sein musste mit dem, was ich sagte.
    Es gab keine Probleme, solange ich über mein Leben in der Schule redete. Die Probleme fingen an, als sie mich über die Europareise ins Kreuzverhör nahm, obwohl ich nicht darüber reden wollte. Da war die wunde Stelle; da lagen die Schwierigkeiten. Ich musste erst selbst mit dem, was geschehen war, ins Reine kommen, und wollte nicht bewusst daran erinnert werden – zumindest nicht, solange ich seine Bedeutung nicht voll erfasst hatte. Tatsächlich war es so, dass ich mit einer unausweichlichen Wahrheit über mich selbst konfrontiert worden war. Eine Wahrheit, über die ich nicht reden konnte. Eine Wahrheit, über die ich nie würde reden können.
    Unsere Gruppe hatte zwei Nächte in Hamburg verbracht. Am ersten Tag – und den größten Teil des zweiten Tages – wurden wir durch Museen und an Orte von historischer Bedeutung geschleift. Dann, am Abend vor unserer Abfahrt, ließ man uns ein wenig Zeit für uns selbst. Wir wurden in Sechsergruppen aufgeteilt, jeweils mit einem älteren Jungen, der die Verantwortung trug. Besuche in Cafes und Restaurant waren erlaubt, Bars und Stripteaseschuppen hingegen verboten. Das waren natürlich genau die Orte, zu denen wir uns unverzüglich aufmachten.
    Wir teilten uns in kleinere Gruppen von zwei oder drei Jungs auf und verabredeten, uns um 21 Uhr 45 wieder zu treffen, sodass wir alle gemeinsam zum Hotel zurückkehren konnten. Der Junge, mit dem ich zusammen war, Lenny Reardon, ging sofort los und suchte einen Sexshop, wurde aber schon bald abgelenkt und landete in einer Spielhölle, wo wir uns rasch aus den Augen verloren. Aber das machte nichts; wir wussten ja beide, wo wir alle uns treffen wollten.
    Dann begegnete mir dieses Mädchen. Sie hieß Hanna. Ich hatte sie noch nicht einmal bemerkt, als ich eine Stimme hörte: »Bist du Amerikaner?«
    Ich drehte mich um, und mir stockte der Atem. Meine Schwester und Naomi waren beinahe Zwillinge gewesen – dieses Mädchen hätte sie zu Drillingen gemacht. Es war nicht nur die äußerliche Ähnlichkeit; es war etwas, das von innen kam.
    »Ja, ich bin Amerikaner«, sagte ich und spannte die Muskeln in meiner Kehle an, um zu

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