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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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– halb nackt, aber niemals völlig nackt. Aber Schwestern zählten sowieso nicht, sagte sie. Mit Schwestern könnte man nicht die Sachen machen wie mit anderen Mädchen. Dann sagte sie, ich solle mich ausziehen. Wir würden »Dinge tun«, versprach sie mir, die uns beiden »Spaß machten«.
    Ich Trottel glaubte ihr. Binnen Sekunden war ich aus den Klamotten und wartete darauf, dass sie dasselbe tat. In diesem Moment hörte ich das unterdrückte Kichern irgendwo über mir. Ich sah nach oben. Das Bootshaus hatte ein hohes Dach, wie ein umgekehrtes V. Oben gab es einen Bereich, eine Art Zwischengeschoss, der als Stauraum genutzt wurde – für Segel, Ruder und verschiedene Ausrüstungsteile. Meine Schwester und zwei ihrer Freundinnen waren dort. Es war eine Falle, auch wenn ich nicht begriff, wie schlimm sie war, bis ich sah, wie Naomi mit meinen Sachen unterm Arm und meinen Schuhen in der Hand aus der Tür flitzte. Die anderen liefen mit klappernden Sohlen eine Holztreppe hinunter und schlossen draußen im strahlenden Sonnenschein zu ihr auf Sie kreischten und lachten, während ihre Stimmen mit wachsendem Abstand leiser wurden.
    Eingewickelt in ein Stück abgerissene Zeltbahn, das ich in einer Ecke gefunden hatte, schlich ich nach Hause. Als meine Eltern mich fragten, was passiert sei, erzählte ich ihnen, dass ich mit ein paar Jungs schwimmen gegangen wäre, die mir einen Streich gespielt hätten. Meine Schwester drückte sich oben auf der Treppe herum und versuchte mitzuhören, was gesagt wurde. Ich wusste, dass sie mich als Lügner hinstellen würde, wenn ich die Wahrheit sagte, und ihre Freundinnen würden ihre Behauptung bestätigen. Sie würden erklären, ich hätte mich an Naomi »herangemacht« und dass sie alle herbeigelaufen wären, um ihr zu helfen. Ich wusste, wie ihre Gehirne arbeiteten. Ich sagte mir, dass ich lieber dafür bestraft werden wollte, ohne erwachsene Aufsichtsperson geschwommen zu sein, als für die Verfehlungen, die die Mädchen mir vorwerfen würden.
    Wahrheit war ein Fremdwort für sie, für sie alle. Es gab keine Brücke zwischen uns.
    Später kam ich zu der Erkenntnis, dass es zwischen niemandem eine Brücke gab. Nur Illusionen, und manchmal die Zerstörung dieser Illusionen.
    Aber eine Wahrheit, die von allen geteilt und hochgehalten werden musste?
    Dass ich nicht lache.

47
    Naomis Tod, fast zwei Jahre nach dem Tod meiner Schwester, wurde niemals aufgeklärt. Sie hatte bei einer ihrer Kusinen auf den Nachwuchs aufgepasst, um ihr einen Gefallen zu tun. An dem schicksalhaften Abend war sie ab neunzehn Uhr fünfzehn allein in dem Haus – das heißt, mit Ausnahme eines Dreijährigen, der die ganze Zeit im ersten Stock fest schlief.
    Der Mörder war offensichtlich ins Haus eingedrungen, indem er ein Fenster im Wintergarten eingeschlagen und dann eine Tür ins Haus selbst aufgebrochen hatte. Naomi war überrascht und nach kurzem Kampf erwürgt worden. Fasern, die man an ihrem Hals fand, legten den Verdacht nahe, dass ein Gegenstand aus Seide benutzt worden war, möglicherweise ein Schal. Er wurde nie gefunden. Ebenso wenig wie die feine Goldkette, die sie immer getragen hatte. Mörder, ließ die Polizei verlauten, besonders Sexual-Serienmörder – und man vermutete, dass man es in diesem Fall mit einem solchen zu tun hatte – behielten oft irgendeinen persönlichen Gegenstand aus dem Besitz ihrer Opfer als Andenken an ihr Verbrechen, eine Gewohnheit, die manchmal zur Entdeckung und Verhaftung der Täter führte.
    Aber nicht in diesem Fall, weil die fragliche Kette auf dem Grund des Flusses lag, in den ich sie warf, nachdem ich das Haus verlassen hatte.
    Meine Kenntnisse über das Verhalten von Sexualstraftätern und Serienmördern hatte ich aus ein paar Taschenbüchern bezogen, die ich günstig in einem Buchladen am Ort gekauft hatte. Diese Bücher hatten mich in die Lage versetzt, den Tatort eines typischen Sexualverbrechens perfekt zu simulieren. Das Opfer war nach Eintritt des Todes nackt ausgezogen und sexuell missbraucht worden, auch wenn der Täter keine Spur von Speichel, Sperma, Blut oder anderen Substanzen zurückgelassen hatte, die für seine Identifizierung von Nutzen hätten sein können.
    An dieser Stelle muss ich ein weiteres Geständnis ablegen. Ich hatte nur die Absicht, dass Naomis Tod wie ein Sexualverbrechen aussehen sollte. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass es tatsächlich eins sein würde. Aber meine Selbstkenntnis in diesem Alter – ich war fast dreizehn

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