Mysterium
verhindern, dass meine Stimme in jene quietschenden Höhen stieg, wie sie es am liebsten getan hätte. »Was kann ich für dich tun?«
Sie war vielleicht ein Jahr jünger als ich, sah aber aus, als würde sie sich in dieser Stadt auskennen – und sehr wahrscheinlich in der Welt. Ihr Englisch war gut. Wir redeten eine Zeit lang darüber, wie gern sie nach Amerika reisen und vielleicht dort leben würde. Ich konnte sehen, dass sie mich mochte. Entweder das, oder sie sagte sich, dass ich ihr vielleicht helfen konnte, nach Amerika zu kommen.
Ihre Selbstsicherheit machte mich nervös. Mein Magen brannte, und mein Herz schlug schneller, aber ich glaube, es gelang mir, das zu verbergen. Nachdem wir eine Weile geredet hatten, fragte sie mich, ob ich Lust hätte, mit ihr zur Wohnung ihrer Schwester zu gehen. Es wäre niemand da, sagte sie; sie hätte die Wohnung bis zum Wochenende ganz für sich.
Ich wusste, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dieses Angebot ablehnte. Ich blickte mich im Spielsalon um und sah, dass Lenny voll und ganz mit einem Flipperautomaten beschäftigt war. Er würde nicht groß darüber nachdenken, wenn ich verschwand; er würde einfach davon ausgehen, mich am Treffpunkt wiederzusehen. Was mir mehr als anderthalb Stunden Zeit ließ.
Die Wohnung von Hannas Schwester lag im vierten Stock. Sie war winzig, und überall lagen Kleider und Zeitschriften und Kissen herum. Hanna fragte mich, ob ich etwas trinken wollte, und ich trank ein Bier, das sie aus einem Kühlschrank in einer Kochnische holte, in der auch eine Spüle und ein kleiner Herd standen. Sie legte eine CD ein und sagte, dass es eine amerikanische Band wäre. Ich hatte noch nie von ihnen gehört, tat aber so, und wir tanzten zu der Musik. Nach einer Weile begannen wir uns zu befummeln. Sie protestierte nicht, als ich meine Hand unter ihr Hemd schob. Sie stöhnte leise; dann nahm sie meine Hand und führte sie zwischen ihre Beine. Als Nächstes, das wusste ich, würde sie ihre Hand bei mir an dieselbe Stelle schieben. Doch sie hielt inne, als sie merkte, dass ich keine Erektion hatte.
»Brendan … ?«
Beim Klang der Stimme meiner Mutter erwachte ich aus meiner Träumerei. Wir saßen uns in unserem Wohnzimmer in Chicago gegenüber. Ich hatte ihr von meiner Europareise erzählt, doch meine Gedanken waren bei der einen Episode gewesen, von der ich ihr nun wirklich nichts berichten konnte. Doch nun hatte sie mir eine Frage gestellt, und ich hatte keinen blassen Schimmer, wie sie gelautet hatte.
»Entschuldigung, was ist?«
»Du warst plötzlich meilenweit weg. Alles in Ordnung?«
»Ja, alles klar. Tut mir Leid, ich hab wohl noch ein bisschen Jetlag.«
Wir redeten über die Schiffsreise, die wir auf dem Rhein gemacht hatten, und über den Besuch des Kölner Doms und über Paris, eine weitere Station auf unserer Reise. Doch die ganze Zeit war ich in Gedanken bei jener Nacht in Hamburg.
Hanna hatte gesagt, dass es schon okay sei; es wäre nicht schlimm, dass ich nicht könne. Ich sah ihr an, dass sie enttäuscht und ein wenig sauer auf mich war. Ich war nicht der, als den sie mich eingeschätzt und den sie sich erhofft hatte. Ich war bloß ein Schuljunge auf Klassenreise, der zu seiner Mutter nach Hause fahren würde. Sie sagte nichts von alledem, aber ich wusste, dass sie so dachte. Sie schaltete die Musik aus, sah auf die Armbanduhr und sagte, dass wir jetzt gehen sollten, weil sie noch jemanden treffen musste.
»Wen musst du denn noch treffen?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. Das ginge mich nichts an.
»Einen Freund?«
Diesmal sah sie mich mit einem gewissen Augenaufschlag an, als wäre ich irgendeine Absonderlichkeit, über die sie sich nachher mit ihren Freundinnen lustig machen würde. So, wie Naomi und meine Schwester es getan hätten.
»Komm schon«, sagte sie, »warum gehen wir nicht einfach?«
Sie nahm meinen Arm, um mich zur Tür zu lotsen. Ich machte mich frei und drehte mich zu ihr um, sodass ich ihr gegenüberstand und den Weg versperrte.
»Sag schon«, wiederholte ich. »Hast du einen Freund? Gehst du jetzt zu dem?«
Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Ich habe einen Mann «, sagte sie und verlieh dem Wort eine Betonung, die mir klar machte, wie sie es meinte. »Also geh mir aus dem Weg, verdammt, bevor du in Schwierigkeiten kommst, Bubi!«
Sie sprach es »verdemmt« aus, was komisch klang und mich beinahe zum Lachen brachte. Aber ihr Englisch war gut, das musste ich zugeben. Flüssig,
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