Mysterium
Selbst für Karen war ich so normal wie Apfelkuchen mit Schlagsahne. Ich allein wusste, was unter der Oberfläche lauerte.
Karen und ich trennten uns nach ein paar Monaten, blieben aber gute Freunde. Ich sah sie danach noch mit anderen Jungen.
Auch ich hatte noch einige Beziehungen: Ich wusste nun, wie es ging; es war ziemlich einfach.
Aber ich war immer noch nicht der, der ich sein wollte. Ich wusste allerdings, was ich wollte, auch wenn ich mir wünschte, es nicht zu wollen. Doch mir war klar, dass ich von irgendeiner überwältigenden Macht angetrieben wurde, die ich weder definieren noch analysieren konnte, eine Macht, die mich in eine Richtung trieb, die mich zugleich entsetzte und erregte. Um mich selbst zu verstehen, las ich Bücher über das menschliche Verhalten und kam recht schnell auf Lehrbücher für Psychologie. Ich entdeckte, dass es bei der Art von Sexualverbrechen, auf die ich fixiert war, im Wesentlichen um Besitzergreifung ging: um die totale Macht über ein anderes menschliches Wesen. Ich wurde vertraut mit Begriffen wie »Nekrophilie« und »sexueller Sadismus«, der in einem der Lehrbücher als »der große Weiße Hai unter den sexuellen Raubtieren« beschrieben wurde. Das verschaffte mir einen merkwürdigen Kick, auch wenn ich äußerst ungern behaupten würde, dass ich darauf stolz war.
Ich fühlte mich abwechselnd bestärkt und verunsichert. Was ich über mich selbst erfuhr, war unvorstellbar. Nur brauchte ich es mir gar nicht vorzustellen. Ich musste es mir nur in Erinnerung rufen. Ich hatte es bereits erlebt.
Einmal, vor Jahren, hatte ich meinen Vater gefragt, was moralisches Verhalten bedeute. Er hatte geantwortet: »Es ist das, was man tut, wenn keiner zusieht.« Als ich daran dachte, musste ich lächeln, während ich über das Es, das Ich und das Über-Ich, die Verinnerlichung der elterlichen Gewalt und die Anpassung an gesellschaftliche Konventionen las. Ich entdeckte, dass es in der Psychologie letztlich darum ging, ein Gleichgewicht zwischen der persönlichen Erfüllung und der Fähigkeit zu finden, in der Gesellschaft akzeptabel zu funktionieren. Richtig oder Falsch spielten dabei keine Rolle. Das wiederum war ein philosophisches Problem, doch auch die Philosophie kam zu keinem eindeutigen Schluss. Die Annahme, dass wir in der Lage sind, auch aus anderen Motiven als Egoismus und der Suche nach Selbsterfüllung zu handeln, war bestenfalls unbewiesen. Wenn man daran glaubte, dann aus dem Grunde, dass man daran glauben wollte .
Als ich schließlich aufs College kam, wusste ich bereits, was ich werden wollte. Natürlich musste ich so tun, als müsste ich erst eine Menge lernen – Dinge, die ich dank ausführlicher Lektüre über das Thema bereits kannte. Doch ich lernte auch viel Neues, zum Beispiel, dass Wissen wenig ändert. Es bringt die Menschen auf den Mond oder beglückt sie mit Bratpfannen, an denen nichts kleben bleibt, doch bei der Lösung der großen Geheimnisse der Welt hilft es nicht. Und es ändert einen wie mich nicht; ich wusste, dass ich mich nie ändern würde. Es war sinnlos, zu bekämpfen, was ich war: Ich konnte es nur verbergen. So, wie wir alle etwas verbergen.
Während ich in Boston war, veröffentlichte ich einige Artikel und bekam das Angebot, ein Buch zu schreiben. Ich machte mir allmählich einen Namen und war stolz darauf, so gut voranzukommen. Ich genoss die Anerkennung und den Respekt, mit dem ein beruflich erfolgreicher Mann behandelt wird. Ich war auch von der Arbeit selbst fasziniert, bei der ich mit jungen Menschen – besser gesagt mit ihrem Verstand – experimentieren konnte, bis sie so funktionierten, wie es von ihnen erwartet wurde. Am ehesten war ich mit einem Ingenieur zu vergleichen oder einem Techniker, der mit den feinsten und kompliziertesten Geräten der Welt arbeitete. Ich konnte Probleme diagnostizieren und sie feinjustieren, zwar nicht bis zur Perfektion, aber immerhin so, dass sie funktionierten.
Gelegentlich sprachen Kollegen und Bekannte das Thema Ehe an. Warum war ich nicht … ? Dachte ich darüber nach, ob … ? Hatte ich die Schwester von Soundso kennen gelernt … ? Würden wir im Restaurant zu viert sein?
Ich nahm am gesellschaftlichen Leben teil, im vernünftigen Rahmen, obwohl ich hart arbeitete. Und normalerweise gelang es mir, dass mehr oder weniger regelmäßig eine Frau in meinem Leben auftauchte, obwohl ich nie mit einer Frau zusammenlebte. Die Beziehungen dauerten für gewöhnlich von sechs Monaten bis zu
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