Mysterium
mehreren Jahren; es gelang mir stets, sie zu Freundschaften herunterzuschrauben, wenn für die betroffenen Frauen offensichtlich wurde, dass unser Verhältnis nicht in eine Ehe münden würde.
Nach dem deutschen Mädchen gab es keine weiteren Zwischenfälle.
Bis Melanie Hagan in mein Leben trat.
50
Ich zog aus mehreren Gründen nach Saracen Springs. Zum einen war es ein kleiner, schmucker Ort, der mir – so hoffte ich – ein ruhigeres Leben bieten würde, sodass mir mehr Zeit zum Nachdenken und Schreiben bliebe. Es war auch nahe genug bei Albany und den umliegenden Orten, dass ich mir eine Praxis aufbauen konnte, die groß genug war, um mir einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Es war ja nicht so, dass ich mich irgendwo im Niemandsland vergraben wollte.
Bald nachdem ich mich dort niedergelassen hatte, wurde ich eingeladen, anlässlich einer Konferenz in Toronto einen Vortrag zu halten. Ich beschloss, mit dem Wagen zu fahren und mir ein paar Tage freizunehmen, um mich zu entspannen und allein zu sein. Ich blieb eine Nacht länger als geplant und besuchte ein paar alte Freunde. Das bedeutete, dass ich ohne Zwischenstopp nach Hause zurückfahren musste – was kein Problem war, wenn ich früh genug losfuhr; allerdings würde ich mitten in der Nacht zu Hause eintreffen.
Ich sammelte Melanie in der Nähe von Utica auf. Genauer gesagt, sie sammelte mich auf. Ich hatte an einer Burgerbude einen Halt eingelegt, um einen Happen zu essen. Es war ungefähr zehn Uhr abends. Als ich gehen wollte, trat sie auf dem Parkplatz an mich heran. Sie fragte mich, wohin ich fuhr. Ich sagte, nach Saracen Springs.
»Wo liegt Saracen Springs?«, fragte sie.
»Nicht weit von Albany«, antwortete ich.
»Klasse«, sagte sie und stieg in meinen Wagen, ohne weiter zu fragen. »Genau da will ich hin, nach Albany. Da können Sie mich absetzen.«
Dann redete sie von ein paar Rockbands, die in Albany auf einem Festival spielten, von dem ich nicht einmal wusste, dass es stattfand. Sie sagte, sie käme per Anhalter von Niagara Falls und sei mit einem alten Ehepaar bis Rochester gefahren; dann hätte eine Frau mit zwei schreienden Kindern sie bis Utica mitgenommen.
»Hast du vor, länger in Albany zu bleiben?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Darauf, was passiert«, antwortete sie. »Vielleicht krieg ich ja ‘nen Job oder so.«
Offen gesagt, war mir bis dahin nicht bewusst gewesen, wie sehr sie meiner Schwester und Naomi ähnelte und auch dem Mädchen in Deutschland – obwohl ich es natürlich unbewusst registriert haben musste. Tatsächlich war die äußerliche Ähnlichkeit nicht allzu bemerkenswert. Erst als sie zu reden begann, wurde mir klar, was ich da in jener Nacht in meinem Wagen hatte. Derselbe wissende Blick, derselbe suggestive Unterton in der Stimme, dieselben schlauen Andeutungen dessen, was bis dahin ein unausgesprochenes Versprechen war, und dieselbe Überzeugung, dass sie mit mir tun konnte, was ihr gefiel.
In gewissem Sinne hatte sie sogar Recht. Fatalerweise.
»Hast du Geld?«, fragte ich sie.
»Nicht viel«, entgegnete sie.
Ich sah zu ihr hinüber. Sie schaute mit absichtlicher Beiläufigkeit aus dem Fenster, war sich aber voll und ganz bewusst, dass mein Blick auf ihr ruhte.
»Haben Sie ‘ne Idee?« Es war offensichtlich, dass sie meine Frage als die Eröffnungsklausel eines Verhandlungsprozesses aufgefasst hatte.
Ich ließ ein paar Augenblicke in Schweigen vergehen und erweckte so den Eindruck, dass ich darüber nachdachte – was tatsächlich der Fall war. Weil ich mit absoluter Gewissheit wusste, was passieren würde, wenn ich auch nur einen weiteren Schritt in die Richtung ging, in die die Dinge sich bewegten.
Sie nahm mir die Entscheidung ab. Als die Stille sich dehnte, wandte sie sich mir zu und fragte: »Wollen Sie mir helfen?«
Es war meine letzte Chance. Ich hätte auf der Stelle anhalten und sie hinauswerfen können. Aber das hätte das Risiko mit sich gebracht, die Rachegefühle aus den Wohnwagenparks hervorzulocken, die sie sicherlich in sich trug: Nichts würde sie dann davon abhalten können, sich mein Kennzeichen zu notieren und Anzeige zu erstatten, ich hätte versucht, sie zu belästigen, oder Schlimmeres. Und angesichts meines Rufes und meiner gesellschaftlichen Stellung hätte mir das sehr große Probleme gemacht. Und wie jeder weiß, bleibt immer etwas hängen, auch wenn am Ende nichts nachgewiesen wird. Mir wurde klar, dass es die letzte Chance
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