Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
Fremde.«
Die Frage missfällt ihm offensichtlich. Sein Mund zuckt, seine Haltung erstarrt und sein Gesicht wirkt auf einmal hart und kalt. Er holt seine Brieftasche hervor, nimmt ein paar Geldscheine heraus und legt sie für die Kellnerin auf den Tisch. »Nichts für ungut«, sagt er, »aber das sollte am besten so bleiben.«
Er holt sein Telefon heraus und verschickt eine Nachricht.
»Ist das dein Ernst?« Diese plötzliche Stimmungsänderung verwirrt mich – gerade haben wir noch zusammen gelacht, und jetzt ist er total distanziert und will ganz schnell aufbrechen? »Ich bin überfallen worden. Du hast mir das Leben gerettet. Deshalb müssen wir ja nicht gleich Freunde werden, aber du brauchst doch nicht so … so …«
»… grob zu sein?« Noch immer bin ich gebannt vom strahlenden Blau seiner Augen. »Pass mal auf: Du bist ein nettes Mädchen, aber sobald du in Sicherheit bist, ist mein Job erledigt. Mein Freund Turk kommt jetzt und bringt dich nach Hause. Warte hier auf ihn.« Er kneift die Augen zusammen. »Komm nie wieder hierher, okay? In den Horsten bist du sicher. Dorthin gehören Leute wie du.«
Er steht auf. Wenn ich ihn nur anschaue, schlägt mein Herz schneller. Ich möchte, dass er bleibt, aber ich habe keine Macht, ihn zurückzuhalten. Wir sind tatsächlich noch immer Fremde. Das tut mir weh.
»Auf Wiedersehen, Aria«, sagt er, und obwohl er entschlossen scheint, sehe ich, dass auch ihm der Abschied wehtut.
Ich sitze still da, wie gelähmt von Traurigkeit. Seine Stimme klang so warm, als er gerade meinen Namen gesagt hat. Sie passte so gar nicht zu diesem kühlen Abschied.
Gerade als er sich zum Gehen wendet, bemerke ich eine winzige Tätowierung auf seinem linken Handgelenk. Sie hat die Form eines explodierenden Sterns.
»Warte!« Ich rutsche zu schnell von der Bank und falle hin – plötzlich sind alle Augen auf mich gerichtet.
»Miss?«, fragt jemand. »Alles in Ordnung?«
Ich stehe auf, schüttele mich und laufe nach draußen. Ich sehe mich verzweifelt auf der Straße um, auf der kaum Menschen zu sehen sind. Wie konnte ich ihn schon wieder gehen lassen?
Ich versuche ruhig zu atmen. Das war keine Halluzination – gestern Abend war ein Junge auf dem Balkon, der ganz sicher kein Partygast war. Es war Hunter. Jetzt hat er mir schon zweimal das Leben gerettet.
Ich warte ein paar Minuten unter der Markise des Java River in der Hoffnung, dass er noch mal zurückkommt. Plötzlich komme ich mir albern vor. Ich bin Aria Rose. Ich lebe in den Horsten und ich bin verlobt.
Thomas. Den wollte ich heute Nacht besuchen, doch seit meiner Begegnung mit Hunter habe ich nicht mehr an ihn gedacht.
Als mir klar wird, dass Hunter nicht wiederkommen wird, gehe ich ins Lokal zurück – mein Tisch ist noch nicht abgeräumt. Hinter der Registrierkasse steht eine alte Frau mit grauem Gesicht und einer Vogelnestfrisur. Bei meinem Eintreten räuspert sie sich. Ich setze mich und warte auf Turk.
Warum hat mich Hunter überhaupt gerettet, wenn er nichts mit mir zu tun haben will? Innerlich leer starre ich in meinen Kaffee und kippe dann die heiße Brühe in einem Zug hinunter. Ich zucke zusammen. Meine Kehle und mein Herz brennen.
5
»Turk« ist ein seltsamer Name. Darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Jetzt habe ich ihn vor mir: einen Jungen mit kupferfarbener Haut und ovalen Augen, der einen Irokesenschnitt trägt. Der Kamm hat einen Farbverlauf, von Schwarz an den Haarwurzeln bis zu Platinblond in den Spitzen. Beide Ohren und die rechte Augenbraue sind gepierct. Er trägt eine schwarze Röhrenhose und ein ebenso eng anliegendes, ärmelloses Hemd, unter dem sich die Muskeln abzeichnen. Die Arme sind vom Handgelenk bis zu den Schultern bunt tätowiert: Feuer speiende Drachen und gefährlich aussehende Schwerter, halb nackte Frauen und fremdartige Fabelwesen.
Er hat dieselbe gesunde Gesichtsfarbe wie Hunter – auch er ist also ein Rebell. Turk sitzt auf einem weißen Motorrad mit verchromten Rädern und schwarzem Sattel. Nur einmal habe ich ein Motorrad im Internet gesehen. Nie hätte ich gedacht, dass diese Dinger so groß sind. Er entdeckt mich sofort durchs Fenster und winkt mich nach draußen.
In der heißen Sommerluft komme ich mir vor wie in einer Sauna. Turk reicht mir einen schmalen Helm. »Steig bitte auf.«
Der macht wohl Witze. »Auf gar keinen Fall«, sage ich.
»Dann willst du dich hier also noch ein bisschen amüsieren?«
Erwischt: Ich muss zurück in die Horste; eine Gondel kann
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