Mythor - 063 - Die Bestie erwacht
taumelte!
Kam näher!
Und – erschien in der Biegung!
Scidas erhobenes Schwert flog zurück in die Scheide. »Rynata!« stieß sie hervor und war mit zwei Schritten bei der anderen, um sie zu stützen.
Auch Mythor ließ Alton sinken. Die Person, die ihnen entgegengekommen war, war eine Amazone.
Aber wie sah sie aus!
Nichts an ihr deutete mehr auf die Kraft hin, die für gewöhnlich eine Kriegerin auszeichnet. Ihre Muskeln waren fast verschwunden, sie war hager und schmal geworden. Schmal war auch ihr Schädel, über dem sich die Haut straff spannte. Tief lagen die Augen in den Höhlen und waren stumpf wie die eines Toten.
»Rynata«, wiederholte Scida den Namen der Amazone. Sie mußte eine der Verschwundenen sein!
Rynata ließ sich in Scidas Arme fallen. Kraftlos sank sie dann zu Boden. Pfeifend ging ihr Atem.
Ein Erinnerungsbild zuckte in Mythor auf. Padrig YeCairn, der Caer-Ausbilder in der Ebene der Krieger, der sein Freund gewesen war. Er hatte ähnlich ausgesehen, war aber dabei dennoch kräftig und schnell gewesen. »Gevatter Tod« hatten sie ihn genannt. Was mochte aus ihm geworden sein?
Das Bild verschwand wieder.
Rynata stammelte etwas. Mit einiger Anstrengung konnte Mythor verstehen, was die Sterbende keuchte.
Ja, auch sie starb! Starb wie jene andere, von der Scida berichtet hatte! Was mochte hinter ihr liegen, das sie bis zum Tod ausgezehrt hatte? Nur ihr Wille mußte sie vorangetrieben haben, um zu warnen, und es mußte Zufall sein, daß Scida ihr gerade in diesem Augenblick entgegenkam. Wahrscheinlich hätte Rynata es nicht mehr geschafft, an die Oberfläche zu kommen.
»Hilf ihnen…«, hörte Mythor sie hauchen. »Scida… hilf Jewa und Ramoa… damit Yacubus… nicht erwacht…«
»Jewa!« schrie die Amazonenführerin auf. »Was ist mit Jewa?«
Aber Rynata sprach nie wieder.
Mythor beugte sich leicht über sie, und in den Augen der Toten las er Angst. Eine furchtbare Angst, die aber nicht dem Sterben galt, sondern etwas anderem.
»Yacubus…«,murmelte er.
Wer oder was war Yacubus? Yacubus, der Fresser, der nicht erwachen durfte!
»Jewa lebt noch«, murmelte die Amazonenführerin. »Und Ramoa auch! Aber was ist mit den anderen?«
»Noch«, schränkte Mythor bitter ein. Er starrte die ausgemergelte Tote an. Welches Grauen lauerte weit vor ihnen?
Gerrek watschelte heran. Er kniete vor der Toten nieder, griff ganz behutsam zu und schloß ihre angsterfüllten Augen. Und irgendwie sah das Gesicht jetzt friedlicher aus.
»Wir müssen sie hier liegen lassen«, sagte Mythor leise. »Vorläufig. Vielleicht haben wir später Zeit, sie so zu bestatten, wie es einer tapferen Kriegerin gebührt.«
Scida sah ihn nachdenklich und sehr lange an, dann aber setzte sie sich wieder in Bewegung.
»Was auch immer dieser Yacubus ist«, stieß sie hervor. »Ich werde ihn für das, was er meinen Kriegerinnen angetan hat, zur Rechenschaft ziehen! Bei Zeboa!«
Wenn es uns überhaupt gelingt, dachte Mythor, aber er schwieg.
Im Nissenhort bahnte sich eine Entscheidung an. Länger wurden die Risse in den ledernen Häuten. Mehr und mehr drängte unheilvolles Leben danach, sich zu entfalten. Tentakel stießen durch die »Dracheneier«, bewegten sich wirr hin und her und suchten nach Eßbarem. Sie waren noch nicht geschlüpft, aber in ihnen nagte schon der Hunger, denn die Vorräte der Nissen konnten ihnen längst nichts mehr bieten.
Der Reifeprozeß ging seinem Ende entgegen.
Es konnte nicht mehr lange dauern. Alles in den Enterseglern drängte jenem Moment entgegen, da die Hüllen endgültig platzten, um die ungeheuerlichen Kreaturen zu entlassen.
Eine unheilvolle Saat, geschaffen, um zu zerstören…
Bald würde diese Saat erwachen…
Sie hatten es nicht mehr weit.
Nach kurzer Zeit bereits erweiterte sich der Gang, und ein fahles Licht begann ihn aufzuhellen. Nach der Düsternis des Ganges fiel es Mythor zum ersten Mal auf, daß sie die ganze Zeit über von schwachem Dämmerlicht begleitet worden waren, mit Ausnahme dieses Gangstücks.
Woher kam das Licht? Es gab doch keine direkte Verbindung zur Oberfläche der Schwammscholle!
Mythor unterzog die Wände einer eingehenderen Musterung und stellte fest, daß sie stellenweise schwach zu glimmen schienen, was aber nur auffiel, wenn man direkt nach dem schwachen Schein suchte. Und obgleich er so schwach war, reichte er aus, Licht zu spenden.
Und hier im Gang war es dunkler gewesen als in der Nissenhöhle und anderen Gängen, aber hatte es dort nicht
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