Mythor - 095 - Die Zaubermütter
Aasenmädchen. »Ich heiße Stee.«
Mythor sagte vorsichtshalber gar nichts. Er roch förmlich, daß es hier nicht rechtschaffen zuging.
»Ich soll dich suchen«, plapperte Stee, die so tat, als habe sie gar nicht bemerkt, daß Mythor nicht antwortete. »Es gibt hier jemanden, der nach dir Ausschau hält.«
»Aha«, sagte Mythor knapp. Er beschloß, auf der Hut zu sein. Lieber ungerechtfertigt mißtrauisch als einmal zuviel vertraut - Fehler waren auf dem Hexenstern gefährlicher als anderswo.
»Du wirst ihn kennen«, plapperte Stee. »Er ist ein ganz wundervoller Mann.«
Ein Mann, dachte Mythor. Aufgepaßt.
»Ich kenne keine Männer«, sagte er laut.
»Diesen wirst du kennen - er ist einer aus meinem Volk.«
Mythor runzelte die Stirn. Tatsächlich, er kannte einen Aasen, aber das lag weit zurück. Wo sich Lankohr jetzt aufhielt, wußte er nicht - aber mit einiger Sicherheit nicht auf dem Hexenstern. Was hätte der Aase hier auch zu tun gehabt - noch dazu inmitten des brodelnden Lagers der Amazonen, umgeben von Gewalttätigkeit.
»Ich glaube nicht, daß…«
»Er heißt Lankohr«, sagte Stee.
Mythor war aufrichtig verblüfft.
»Siehst du? Ich kann es dir ansehen, daß du überrascht bist. Lankohr ist hier, und er will dich sehen.«
»Hm«, machte Mythor.
Es gab allerlei zu bedenken. Zum einen war es mehr als unwahrscheinlich, daß sich der zierliche Aase ausgerechnet hierhin verirrt haben sollte. Andererseits: woher kannte Stee den Namen? Hinwiederum: woher sollte Lankohr, selbst wenn er sich am Hexenstern aufhielt, wissen, daß Mythor dort war?
Die Sache war mehr als rätselhaft, und angesichts der Gefahren, die allenthalben lauerten, war Mythor versucht, das Angebot auszuschlagen. Auf der anderen Seite…
»Du kannst mir vertrauen«, sagte Stee und verstärkte ihr Lächeln. »Würde Lankohr mich zu dir schicken, wenn er mir nicht traute?«
»Woher kennst du ihn?«
Stee schloß die Augen.
»Wir kennen uns schon sehr lange«, berichtete sie. »Er ist meine große Liebe, mußt du wissen.«
In dieser Umgebung der waffenklirrenden Gewalt wirkte dieser Satz doppelt befremdlich.
»Wie hast du mich überhaupt gefunden? Du kennst mich doch gar nicht?«
»Aber ich kenne Tertish, und ich weiß von Lankohr, daß du dich in ihrer Begleitung befindest - es war also nicht schwer, dich zu suchen und zu finden. Vertraust du mir jetzt?«
Wäre Mythor aufrichtig gewesen, hätte er die Frage mit nein beantworten müssen. So aber machte er ein freundliches Gesicht und nickte. »Dann folge mir!«
*
Tertish wunderte sich nicht darüber, daß Mythor verschwunden war, als sie zurückkehrte. Sie hatte damit gerechnet, daß er versuchen würde davonzulaufen - nicht gerade aus Feigheit, die sie ihm nicht in diesem Maß zutraute, wohl aber aus Neugierde.
Ohne sein Schwert würde er schwerlich weit kommen, und es kostete Tertish auch wenig Mühe, herauszubekommen, wohin sich Mythor gewandt hatte. Ohne Waffe war er fast auffälliger als zuvor.
Dann bekam Tertish etwas zu hören, das sie im höchsten Maß verblüffte - Mythor war dabei gesehen worden, wie er von einem Aasenmädchen angesprochen worden war. Und er war diesem Aasenmädchen offenbar auch gefolgt.
Das gab Tertish zu denken. Die Todgeweihte war helle, sie konnte sich leicht ausrechnen, daß es für dieses Zusammentreffen einen bestimmten Grund geben müßte. Der konnte entweder in der Person Mythors begründet liegen, aber den kannte hier niemand, und daher fiel das aus; oder er lag in der Person des Aasenmädchens begründet - und dann schwebte Mythor in hoher Gefahr. Tertish hatte ihn nicht den weiten Weg begleitet, um ihn einigen wildgewordenen Aasenmädchen zu überlassen.
Sie machte sich daran, die Spur des Vermißten aufzunehmen und ihr zu folgen.
*
Stee wurde um so schweigsamer, je länger der Weg wurde. Mythor fiel auf, daß sie etliche Umwege einschlug - angeblich, um eventuelle Verfolger und Späher abzulenken, aber so ganz glaubte Mythor das nicht. Er blieb wachsam.
»Bald sind wir am Ziel«, sagte Stee. »Das wird eine Überraschung geben.«
Mythor hoffte, daß sie recht behielt.
Es wurde eine Überraschung.
Als Mythor den zierlichen Aasen in seiner grünen Kleidung sah, das breite Lächeln, die vertrauten Gesichtszüge, da wußte er, daß man ihn tatsächlich nicht getäuscht hatte.
»Siehst du!« rief Lankohr aus. »Sie hat mich nicht getäuscht.«
Der Ruf galt einem seltsamen Menschen neben Lankohr, von dem Mythor nicht zu sagen
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