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Mythor - 113 - Das Feuer der Zeit

Mythor - 113 - Das Feuer der Zeit

Titel: Mythor - 113 - Das Feuer der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Paul
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sagen haben. Wir bekommen nur selten Nachricht von den Zurückgebliebenen.«
    »Wenn es nicht mehr ist, was ihr wollt, so könnte euch geholfen werden«, sagte Mythor. »Was wollt ihr wissen?«
    Die Schatten begannen wieder zu raunen und zu wispern, als berieten sie sich. Mythor war von ihnen umringt und wurde so stark bedrängt, daß er aus ihrem Reigen nicht ausbrechen konnte. Er hätte auch nicht gewußt, wohin er sich zur Flucht wenden sollte. Also überließ er sich der Willkür der toten Seelen. Er war überzeugt, daß sie ihm nichts anhaben konnten, denn er gehörte nicht zu ihnen.
    »O, wir wollen alle soviel wissen«, meldete sich der Chor der Seelen in dem seltsamen Singsang, »daß deine Zeit nicht reichen würde, uns alle Fragen zu beantworten. Aber vielleicht ist jemand unter uns, den du kennst und dem du Nachricht bringen wolltest?«
    Mythor hatte das Gefühl, als schnüre es ihm die Kehle zu, wiewohl er keinen Körper hatte. Bis jetzt hatte er noch nicht daran gedacht, daß er im Totenreich jemanden treffen könnte, den er im Leben gekannt hatte. Er hatte so viele Menschen sterben gesehen, Feinde und Freunde, und die Aussicht, einem von ihnen zu begegnen, bereitete ihm Angst.
    »Ich wüßte keinen«, sagte er daher.
    »Jeder Lebende hat Schuld auf sich geladen«, sang der Chor. »Warum sollst du ausgerechnet eine Ausnahme bilden. Erinnerst du dich wirklich an niemanden, der durch dein Unrecht hierher gekommen ist?«
    »Nein!« Mythor schrie es.
    »Nun gut. Dann wird sich jemand unter uns finden, dessen du in aller Ehrfurcht gedenkst, den du geliebt oder geachtet hast, der dir teuer war und dem du teuer warst. Jemand, der im Leben Bedeutung für dich gehabt hat, der aber unerfüllt daraus entschwunden ist. Einen solchen mußt du finden, um eine unbezahlte Schuld zu tilgen.«
    »Ich kenne keinen solchen!« leugnete Mythor. »Außer Tertish, die ich zurückholen will, um keine solche Schuld auf mich zu laden.«
    »Und mich vergißt du, Mythor?«
    »Und mich… und mich… und mich…«, erklang ein nicht enden wollendes Echo.
    Mythor hätte sich am liebsten taub gestellt, aber er konnte sich den vielen Stimmen nicht verschließen.
    Die Schatten entschwanden. Nur ein einzelner blieb zurück.
    »Wer bist du?« fragte Mythor beklommen. Er fürchtete sich vor der Antwort, ohne zu wissen warum. Aber der Schatten fragte statt dessen zurück:
    »Erinnerst du dich meiner wirklich nicht mehr?«
    Die Stimme war geschlechtslos, wesenlos geradezu. Mythor hätte nicht zu sagen vermocht, ob sie einer Frau, einem Mann oder einem Kind oder vielleicht gar einem nicht-menschlichen Wesen gehörte.
    Aber die Angst war auf einmal verflogen, und er stellte sich der toten Seele, um Rechenschaft abzulegen. Alle Furcht war wie weggewischt, und er verstand nun nicht einmal, wie er welche empfunden haben konnte.
    Denn Mythor war sich keiner Schuld bewußt.
    Er erinnerte sich keines groben Vergehens, dessentwegen ihn die Toten zur Rechenschaft ziehen könnten.
    Mythor hörte noch die letzte Frage nachklingen und sagte dazu:
    »Ich trage so viele Erinnerungen in mir. Wie soll ich wissen, welche mich mit dir verbindet? Du bist ein Schatten, ohne Gesicht und ohne Geschichte.«
    »Ich werde dir helfen«, sagte der Schatten. »Mein Leben lang habe ich versucht, den rechten Weg nicht zu verlassen. Ich habe das aufkommende Böse in mir stets unterdrückt und nichts getan, was meinen Namen beflecken konnte und worüber sich meine Ahnen und meine Nachkommen schämen müßten. Und doch habe ich, ohne böse Absicht, schon in jungen Jahren gefehlt. Ich wurde zu einem Ehrlosen.«
    »Das trifft auf einige zu, die ich gekannt habe«, sagte Mythor. »Doch waren jene, die ich meine, nicht wirklich Entehrte, und es gehörte nicht viel dazu, damit sie ihr Ansehen wieder herstellten.«
    »Nicht in meinem Fall«, sagte der Schatten. »Meine Verfehlung war im Leben nicht wieder gutzumachen. Ich habe als Krieger versagt, und mußte den vorbestimmten Weg gehen. Wir haben an einem bedeutenden Tag fast Seite an Seite gekämpft, Mythor, ich nicht mit weniger Mut als du, doch mit weniger Glück.«
    »Meinst du den Tag der Wintersonnenwende, an dem die Schlacht im Hochmoor von Dhuannin stattfand?« fragte Mythor erregt. »Bist du einer der gefallenen Kämpfer der Lichtwelt dieses unseligen Tages?«
    »Sagte ich nicht, daß das Glück nicht auf meiner Seite war?« erinnerte der Schatten. »Ich überlebte die Schlacht als Verlierer. Ich war der Heerführer, der

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