Mythor - 113 - Das Feuer der Zeit
seine Krieger in die Niederlage führte, der seinem Volk große Schande bereitete, so daß es mich zu Recht mit Ächtung strafte. Und so war aus einer Blume ein Unkraut geworden. Da ich nicht mehr Lilie sein konnte, wollte ich auch nicht Distel sein.«
»Dann bist du…«
»Hör weiter«, sagte der Schatten. »Ich zog mit dir auf der Straße des Bösen nach Salamos, nur von dem Gedanken beseelt, mich dem Lehm zu übergeben, aus dem ich geschaffen worden war. Ich bat dich, mir das letzte Geleit zu geben, und du begleitetest mich auf den Lilienhügel. Da durfte ich neue Hoffnung schöpfen, denn durch den Beistand eines Recken wie dich schien mir der Weg ins Land der Heroen nicht mehr verbaut. Ich vollzog das Ritual. Doch erst als ich mich ins Schwert stürzte, da merkte ich, daß ich allein war. Du, Mythor, hast mich im Stich gelassen. Und so erwachte ich nicht im Heldenland, sondern hier im Schattenreich.«
»Gapolo ze Chianez!« sagte Mythor. Er erinnerte sich der Geschehnisse von damals, als erlebe er sie noch einmal. Der Salamiter war einer der geschlagenen Heerführer der Kämpfer der Lichtwelt gewesen. Sein Volk wandte sich darum von ihm ab, sein Stamm, dessen Zeichen die Lilie war, verstieß ihn, so daß er glaubte, freiwillig aus dem Leben scheiden zu müssen. Er hatte Mythor gebeten, ihn zum Lilienhügel zu begleiten, wo schon viele andere in ihrem Stolz gekränkte Salamiter vor ihm aus dem Leben gegangen waren.
Mythor hatte Gapolo seinen Beistand nicht versagt, weil er glaubte, ihn von dieser Wahnsinnstat doch noch abhalten zu können. Doch als sie die Kultstätte erreichten, wo die sterblichen Überreste der Selbstmörder in Lehmformen beigesetzt waren, da drückte Gapolo ganz deutlich aus, was er wirklich von Mythor erwartete – nämlich, daß er mit ihm in den Freitod gehe, als Begleiter in das überirdische Land der Heroen.
»Mit welchem Recht hast du von mir verlangt, daß ich dir eine solch sinnlose Tat nachmache?« fragte Mythor. »Und wirfst du mir nun vor, daß ich, der Vernunft gehorchend, mich weigerte?«
»Weder zürnen kann ich dir, noch dich tadeln«, sagte der Schatten von Gapolo ze Chianez. »Ich war nicht würdig, ins Land der Helden einzuziehen. Doch habe ich ewige Verdammnis verdient? War es so unrecht, was ich tat, daß ich nicht Erlösung von diesem Zustand erhoffen darf?«
Mythor dachte nach. Er wußte noch immer nicht, was sich der tote Gapolo von ihm erhoffte. Gab es einen anderen Zustand des Todes, als der Salamiter ihn hier hatte?
Der Sohn des Kometen erinnerte sich der Prüfung, die Cryton ihm auferlegte. Der Götterbote hatte ihm versprochen, ihn zu einem unsterblichen Helden unter seinesgleichen zu machen, wenn er ihm folgte. War dies das Land der Heroen, in das Gapolo hatte eingehen wollen?
Ohne es zu wissen, hatte Mythor seine Überlegungen laut ausgesprochen, so daß auch der Salamiter sie hören konnte.
»So hoch hinaus strebe ich nicht mehr«, sagte der Schatten. »Es würde mir genügen, zu wissen, daß mein Name im Buch der Welt verewigt ist, dann könnte ich Ruhe finden.«
»Dein Name ist bei den Stämmen von Nord-Salamos unvergessen«, sagte Mythor. »Nachdem ich vom Lilienhügel floh, wurde ich von deinen Stammesangehörigen bis nach Leone verfolgt. Das sollte der Beweis dafür sein, daß sie dich mit allen Ehren in die Ahnengalerie aufgenommen haben. Dein Leib ruht auf dem Lilienhügel. Dein Name steht im Buch der Welt – er ist in der Zahl einundzwanzig enthalten.«
»Dann ist es gut«, sagte der Schatten. »Leb wohl, Mythor. Vielleicht begegnen wir uns wieder einmal in einem anderen Sein.«
Der Schatten entschwand, ehe sich Mythor noch von ihm verabschieden konnte. Doch glaubte Mythor, daß er noch einmal zurückgekehrt sei, als wieder ein Schatten vor ihm auftauchte. Doch der Schatten fragte:
»Und mich hast du auch vergessen, Mythor?«
Da wußte er, daß er es nicht mit der toten Seele des Salamiters zu tun hatte.
*
»Willst du dich mir zu erkennen geben, oder hast du vor, mir ebenfalls Rätsel aufzugeben?« fragte Mythor den Schatten.
»Ich bin ganz einfach zu verstehen«, sagte der Schatten. »Ich bin die Liebe und der Haß. Beide haben gleichzeitig in meinem Körper gewohnt. Wie lange mag es her sein, daß ich sie dich habe spüren lassen – daß ich von Hingabe und Aufopferungsbereitschaft beherrscht wurde und im selben Maß von Selbstsucht und Rachegelüsten. Aber du warst nie mein Feind, Mythor.«
»Du bist eine Frau«, stellte Mythor
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