Nach all diesen Jahren
sollte nicht glauben, er wäre ein leichtgläubiger Softie, nur weil sie ihm einmal etwas bedeutet hatte, und er sie nie ganz aus dem Kopf bekommen hatte.
„Ich glaube dir, dass du ein Kind hast. Immerhin sind fünf Jahre vergangen. Da kann viel passieren. Aber wenn du weiterhin behauptest, ich wäre der Vater, dann bestehe ich auf einem unwiderlegbaren Beweis.“
Sobald das Wort „Kind“ über seine Lippen gekommen war, wurde es sofort real. Wegen seiner eigenen Vergangenheit hatte er sich eines geschworen: keine eigenen Kinder! Er wusste aus leidvoller Erfahrung, was Eltern Kindern antaten. Er selbst war nur eine Last für seine Mutter gewesen, darum hatte er sich geschworen, nie eine Familie zu gründen. Und jetzt hatte er das Gefühl der Himmel würde ihm auf den Kopf fallen. „Eine durchaus nachvollziehbare Forderung, wie selbst du zugeben müsstest“, fuhr er fort.
„Ein Blick dürfte genügen“, erwiderte sie. „Ich kann dir gern das Datum der Geburt nennen, dann kannst du selbst nachrechnen.“
„Ohne einen Vaterschaftstest glaube ich gar nichts.“
Sarah schluckte. Sie bemühte sich, die Sache aus Raouls Perspektive zu betrachten. Natürlich war das ein Schock für ihn. Und selbstverständlich hatte er das Recht, einen Beweis einzufordern. Das Ganze musste schließlich der reinste Albtraum für ihn sein.
Trotzdem – seine Reaktion verletzte und demütigte sie unglaublich. Er kennt mich doch! Wie kann er annehmen, ich würde ihn anlügen, um Geld herauszuschlagen? Offensichtlich hatte die Zeit sie beide stärker verändert, als sie es für möglich gehalten hatte. Während sich in ihrem Fall alle Träume zerschlagen hatten, hatte er die seinen wahrgemacht und konnte jetzt wie vom Olymp auf sie herabblicken.
„Selbstverständlich bin ich mit einem Vaterschaftstest einverstanden“, stimmte sie brüsk zu und stand auf. Inzwischen hatte sie rasende Kopfschmerzen. „Ich muss gehen.“
Offensichtlich wollte Raoul weder ein Foto seines Sohnes betrachten noch sich überhaupt nach ihm erkundigen. Aber wenigstens weiß er jetzt Bescheid, versuchte sie das Positive an der Situation zu sehen.
„Es tut mir wirklich leid, Raoul.“ Plötzlich wurde sie sich wieder des Unterschieds zwischen ihnen bewusst. Verlegen zupfte sie an ihrer Kittelschürze. „Glaub mir, ich weiß, wie unangenehm die Situation für dich sein muss. Ich möchte dir versichern, dass ich nichts erwarte. Wenn du willst, vergiss das Ganze einfach.“
Er lachte sarkastisch auf.
„In welcher Welt lebst du eigentlich, Sarah? Sollte ich tatsächlich der Vater deines Kindes sein, glaubst du, ich würde mich einfach vor der Verantwortung drücken? Selbstverständlich werde ich dich auf jede nur erdenkliche Weise unterstützen. Ich habe ja gar keine andere Wahl!“
Der letzte Satz verriet, wie er die Sache sah. Er würde seine Pflicht tun. Aber als der freiheitsliebende Mensch, der er war, würde er ihr das ewig übel nehmen. Ob ihm bewusst ist, wie sehr er mich verletzt? fragte Sarah sich. Tränen schossen ihr in die Augen.
Zu ihrer Überraschung drückte er ihr ein Taschentuch in die Hand. Sie sah zu Boden und versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken. „Damals hast du nie ein Taschentuch dabei gehabt“, versuchte sie mit zitternder Stimme einen leichteren Ton anzuschlagen.
Raoul lächelte zögernd. „Eigentlich weiß ich selbst nicht, warum ich eins mit mir herumtrage. Ich benutze es nie.“
„Und wenn du erkältet bist?
„Ich bin nie erkältet. Ich habe eine Rossnatur.“
Es waren nur ein paar belanglose Floskeln, die sie austauschten, aber Sarah fühlte, wie eine Last von ihren Schultern wich. Sie versprach, ihm das Taschentuch gewaschen und gebügelt zurückzugeben.
„Wie kann ich dich erreichen? Gib mir bitte deine Handynummer.“ Er schrieb etwas auf ein Stück Papier. „Hier ist meine. Wenn irgendetwas sein sollte, ruf mich bitte an.“
Unwillkürlich dachte sie daran, wie anders die Situation damals gewesen war. Damals wurden keine Nummern oder Adressen ausgetauscht. Er wollte sie nur loswerden. Sie hatten eine schöne Zeit gehabt, und dann war es eben vorbei.
„Ich melde mich diese Woche noch“, versprach er und sah ihr nach, als sie im Flur den Kittel auszog, ihn zusammen mit dem Kopftuch auf den Putzwagen warf – und hocherhobenen Hauptes ging.
Jetzt – allein in seinem Büro – erlaubte er sich Gefühle!
Ich habe einen Sohn!
Trotz seiner lautstark geäußerten Zweifel wusste Raoul tief in
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