Nach all diesen Jahren
fühlte sich in der Pizzeria zwar völlig overdressed, aber Raouls Gesicht, als sie ihm und Oliver zweieinhalb Stunden später die Tür aufmachte, machte das wieder wett.
„Und? Wie war es?“, erkundigte sie sich.
Raoul musste sich zwingen, ihre Frage zu beantworten, denn sein Hirn hatte beim Anblick des Minirocks und der hochhackigen Schuhe auf Ruhe-Modus umgeschaltet.
„Ja. Doch. Sehr gut“, stammelte er und fuhr Oliver durch die Locken. „In dem Restaurant haben sie ihm gleich Papier und Buntstifte gebracht, und er hat ein paar Bilder gemalt. Glückliche-Familie-Bilder. Ich bin sicher, ein Psychologe wäre begeistert.“
„Oh. Schön. Also dann …“
Raoul drückte gegen die Tür, als sie diese schließen wollte und trat in den Flur. „Wir müssen noch über die Besuchszeiten reden. Außerdem gibt es einiges wegen des Umzugs zu besprechen. Die Papiere sind unterschrieben. Jetzt muss ich nur noch wissen, was du von hier mitnehmen willst.“
„Wie? So schnell?“
„Die Zeit vergeht wie im Flug, nicht wahr?“
Sarah starrte seinen Rücken an, als er zielgerichtet ins Wohnzimmer marschierte. Eigentlich wollte sie sich umziehen, aber jetzt entschied sie sich dagegen. Das konnte warten. Das Gespräch würde sicher nicht lange dauern. Sie war schockiert, wie schnell das Haus bezugsfertig geworden war. Als sie es das letzte Mal betreten hatte, war es die reinste Baustelle gewesen. In der Zwischenzeit hatte sie nichts mehr davon gehört und war stillschweigend davon ausgegangen, es würde noch Monate dauern, bis es bezugsfertig wäre.
„Ich kann es gar nicht glauben“, begann sie, als sie ebenfalls das Wohnzimmer betrat, wo Raoul es sich bereits in seinem Sessel bequem gemacht hatte. „Bist du dir sicher, dass wir schon einziehen können?“
„Es ist schon erstaunlich, was Geld alles möglich macht.“
„Aber ich habe noch gar nicht überlegt, wie ich die Wohnung einrichten soll. Ich meine, all die Sachen hier gehören mir ja gar nicht.“
„Das erleichtert mich ungemein.“ Kritisch betrachtete er Sarah, die sich auf einen Stuhl direkt neben der Tür setzte. Sie zerrte an ihrem Rocksaum, der ihre Schenkel hochgerutscht war. Das Top ist auch nicht besser, dachte er und starrte auf den Ausschnitt, der mehr von Sarahs wohlgeformtem Busen zeigte, als ihm lieb war. Raoul kniff missbilligend die Lippen zusammen.
„Trotzdem ist es ein komisches Gefühl, hier auszuziehen“, meinte sie.
„Oliver ist schon ganz aufgeregt“, erwiderte Raoul mit gepresster Stimme. Für wen sie wohl den Minirock und die hochhackigen Schuhe angezogen hat? Die Frage ließ ihm keine Ruhe. „Er kann es kaum erwarten, im Garten zu spielen. Und er freut sich auf die Schaukel, die ich ihm versprochen habe.“
Sarah, die ihren eigenen Gedanken nachhing, sah ihn verwirrt an.
„Du siehst aus, als wärst du auf Männerfang gewesen – und ich muss sagen, das gefällt mir ganz und gar nicht!“
Sarah umklammerte die Armlehnen, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?“
„Bisher hast du dich noch nie so angezogen! Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Und dann nutzt du die erste Gelegenheit, zu der du Oliver los bist! Ich gehe davon aus, du hast die Lage sondiert, was es so auf dem Singlemarkt für dich gibt?“
„Es … es … ist unter meiner Würde, darauf zu antworten.“
Ich bin zu weit gegangen, gestand Raoul sich ein, als er ihren verschlossenen Gesichtsausdruck sah. Und noch etwas weit Unangenehmeres musste er sich eingestehen: Wenn es um Sarah ging, war er absolut besitzergreifend! Er wollte nicht, dass sie sich mit anderen Männern traf. Angesichts ihres sexy Outfits wurde ihm klar, dass er nicht einmal wollte, dass andere Männer sie so sahen! Wenn sie schon solche Kleidung trug, dann bitte ausschließlich für ihn.
So kannte er sich gar nicht! Er neigte nicht zu Eifersucht. Warum jetzt? Weil sie die Mutter seines Sohnes war? War das eine Art archaischer Reaktion, gegen die er nicht ankam? Er wusste nur eines: Allein der Gedanke, dass Sarah nachts durch die Discos zog, verursachte ihm Magenschmerzen.
Gut, er hatte nie vorgehabt, sich zu binden. Aber das einzig Stetige im Leben war der Wandel. Sagte man nicht so? Regeln waren dazu da, um sie zu brechen. Änderten sich die Umstände, änderten sich auch die Regeln. Flexibilität war schließlich ein Zeichen von Kreativität.
Konnte er wirklich so verblendet gewesen sein zu glauben, Sarah würde sich mit Geld oder
Weitere Kostenlose Bücher