Nach all diesen Jahren
irdischen Gütern abspeisen lassen? Sie war nicht käuflich. Sie wollte eine ernsthafte Beziehung, nicht mehr und nicht weniger. Aber will sie mich überhaupt noch, fragte er sich zweifelnd. Es bestand da zwar diese erotische Anziehung, aber das würde für Sarah nie das ausschlaggebende Kriterium sein.
„Wir sollten unser Verhältnis darauf beschränken, die notwendigen Informationen auszutauschen“, schlug Sarah vor. „Sag mir einfach, wann wir umziehen können. Da fällt mir ein, ich habe noch gar nicht gekündigt! Ich habe eine dreimonatige Kündigungsfrist.“
„Darum werde ich mich kümmern.“
„Dann müssen wir vermutlich die Besuchstage festlegen. Oder sollen wir bis nach dem Umzug warten? Dann weißt du, wie lange du vom Büro aus brauchst. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind manchmal etwas unzuverlässig. Ach Unsinn! Habe ich ganz vergessen: Du benutzt ja gar keine öffentlichen Verkehrsmittel!“
Mit säuerlicher Miene hörte Raoul ihr zu. Wahrscheinlich will sie wissen, wann sie sturmfreie Bude hat, dachte er. Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz: Er war tatsächlich eifersüchtig!
Unvermittelt stand er auf und verließ den Raum. Sarah folgte ihm verblüfft. Zu ihrer Verwirrung gesellte sich ein ungutes Gefühl. Raoul hatte sie behandelt wie ein billiges Flittchen. Sollte sie ihn deshalb zur Rede stellen oder ihm einfach die Wahrheit gestehen, dass sie lediglich mit einer Freundin in einer Pizzeria gewesen war?
„Das Haus ist ab Mitte nächster Woche bezugsfertig“, erklärte er.
„Und meine Sachen?“
„Die lasse ich abholen. Wenn die Möbel hierbleiben, ist vermutlich nicht allzu viel übrig.“
„Eher nicht.“
Raoul wandte sich ihr zu. „Alles wird gut“, sagte er mit rauer Stimme. „Mach dir keine Sorgen. Das Haus gehört dir, der Grundbucheintrag lautet auf deinen Namen. Du verlierst nicht dein Zuhause, du ziehst einfach nur um.“
„Ich weiß – und es wird bestimmt ganz toll.“ Sie setzte ein heiteres Lächeln auf. „Mom und Dad sind ganz begeistert. Ihnen hat dieses Haus nie gefallen. Viel zu nah an der Hauptstraße und kein Garten, in dem Oliver spielen könnte.“
„Gut, dass du das Thema anschneidest. Worüber ich noch mit dir sprechen wollte: deine Eltern.“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich möchte sie kennenlernen.“
„Warum das denn?“
„Weil Oliver mein Sohn ist. Meinst du nicht, da sollte ich seine Großeltern kennenlernen? Sie werden sicher manchmal nach London kommen, oder wir werden sie besuchen.“
„Ja, aber …“
„Ich möchte einfach nicht, dass sie eine falsche Vorstellung von mir haben.“
„Haben sie nicht. Sie wissen, wie viel Zeit du mit Oliver verbringst. Außerdem habe ich ihnen von dem Haus erzählt.“
„Trotzdem. Ich möchte sie kennenlernen.“
„Vielleicht, wenn sie das nächste Mal nach London kommen.“
„Nein. Innerhalb der nächsten zwei Wochen.“
Sie einigten sich auf einen Umzugstermin und den Tag, an dem sie Sarahs Eltern in Devon besuchen würden. Als Raoul schließlich ging, hatte sie das Gefühl, von den Ereignissen völlig überrollt zu werden.
Es stellte sich heraus, dass ihre Besitztümer in ein paar Umzugskisten Platz hatten. Irgendwie eine traurige Bilanz, dachte Sarah. Aber sie gestand sich ein, dass sie dieses Haus nicht wirklich vermissen würde. Es war mit einer Zeit in ihrem Leben verbunden, die unsäglich hart gewesen war. Darum stieg Sarah ohne Bedauern und ohne einen Blick zurückzuwerfen in den Wagen, den Raoul am Mittwoch schickte.
Oliver hüpfte in seinem Sitz vor Aufregung auf und ab und war kaum zu bändigen. Sarah bemerkte, wie der Chauffeur, der natürlich wusste, wer sie war, sie im Rückspiegel beobachtete. Wahrscheinlich gelang es ihm nicht, das Bild von seinem Chef mit der Vorstellung eines Familienvaters in Übereinstimmung zu bringen.
Als sie in die ruhige, baumbestandene Anwohnerstraße einbogen, seufzte Sarah tief auf. Ihr zukünftiges Heim war ein Eckgrundstück, und man hätte meinen können, meilenweit von der hektischen City entfernt zu sein. Auch wenn die Situation zwischen ihr und Raoul weiterhin schwierig war, würde ihr Leben ab jetzt doch einfacher und sorgenfrei sein.
Ihre Freude wurde durch den Gedanken getrübt, dass sie und Raoul ab jetzt „Freunde“ waren. Immerhin mein Vorschlag, dachte sie. Den sie jedoch nur gemacht hatte, weil sie die Vorstellung, seine Geliebte zu werden, ohne dass er tiefere Gefühle damit verband, einfach unmöglich und
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