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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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sich, es nicht lange genug unter dem kalten Strahl ausgehalten zu haben.
    »Der in Ehren ergraute Ermittler hätte nicht gedacht, dass er auf seine alten Tage noch zum Warmduscher werden würde«, kommentierte er missmutig und schickte sich an, einige Zeit auf dem Bett zu ruhen, bis sein Kreislauf sich beruhigt haben würde. Dazu kam er jedoch nicht, da es an der Tür klopfte. Als er öffnete und Stephan vor sich sah, erschrak er. Weniger über den Anblick seines Sohnes als vielmehr darüber, dass er es bis jetzt versäumt hatte ihn anzurufen.
    »Hallo Papa«, sagte Stephan. »Schön, dass ich dich hier antreffe. Hast du ein wenig Zeit für mich?«
    »Alte Menschen haben niemals Zeit, weil sie spüren, wie sie ihnen davonläuft«, erwiderte Lorenz. »Aber natürlich, komm rein.«
    Stephan schloss die Tür hinter sich und steuerte einen Stuhl an, der bei dem Fenster stand, von dem aus man so einen prachtvollen Ausblick ins Rurtal hatte. Doch er schien nicht an dem Panoramablick auf Wald, Felsen und Burg interessiert. Lorenz betrachtete seinen Sohn. Es war schon einige Zeit seit ihrem letzten Treffen vergangen. Stephan schien seitdem deutlich gealtert, sein Haar war grauer und vielleicht auch schütterer geworden. Lorenz überlegte, ob er mit zweiundfünfzig auch schon so alt ausgesehen hatte. Vermutlich ja, und er war dicker gewesen. Er erinnerte sich, dass Stephan ein leidenschaftlicher Jogger war. »Läufst du noch immer so viel?«, fragte er. »Du siehst dünn aus – und auch etwas müde, wenn ich das so sagen darf.«
    »Darfst du«, meinte Stephan. »Und ich habe auch allen Grund dazu.« Er zog einen Brief aus der Tasche und hielt ihn Lorenz hin. Der nahm den Bogen, dann ging er zum Schreibtisch und setzte seine Brille auf, die dort gelegen hatte. Der Brief war seltsam, enthielt nur Stephans Adresse und einen kurzen Text. Lorenz las:
    Die Maid verließ das Elternhaus, dem Bruder war sie weit voraus, im Leben wie im Sterben, bald wirst du sie beerben. Ambiorix .
    Langsam setzte der Alte sich auf den zweiten, freien Stuhl. Er machte keine Anstalten, etwas zu sagen.
    Stephan fragte ungeduldig: »Und? Denkst du, was ich denke? Es geht um Gerda, nicht wahr? Der Bruder bin ich. Und dieser Ambiorix – das war doch euer Lieblingsprojekt, bevor Gerda, bevor sie – verschwand.«
    »Natürlich geht es um Gerda«, sagte Lorenz. »Und ich bin sicher, dass dies ihr Mörder geschrieben hat.«
    Stephan sprang auf und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. »Wie kannst du da so sicher sein? Da kann doch irgendein Verrückter sich einen bösen Scherz erlaubt haben, oder?«
    »Glaubst du das?«
    Stephan blieb stehen. »Nein.«
    Die beiden sahen sich an. Es dauerte eine Weile, bis Stephan sagte: »Glaubst du immer noch, ich hätte damals vergessen, meine Schwester vom Bahnhof abzuholen? Gibst du mir immer noch die Schuld an ihrem – Tod?«
    Lorenz brummte etwas Unverständliches, vielleicht wäre es ihm lieber gewesen, Kommissar Wollbrand hätte für ihn geantwortet. Aber das war nun seine Sache, bei der der alte Ermittler ihm nicht würde helfen können. »Vielleicht hast du es vergessen. Vielleicht habe ich es vergessen. Wer will das schon entscheiden? Ich habe dir nie die Schuld an ihrem Tod gegeben.«
    Lorenz stellte sich, er wusste nicht, zum wievielten Male, seine Tochter vor, die in der Nacht am Kölner Hauptbahnhof stand und darauf wartete, abgeholt zu werden. Wenn doch damals nur schon die nächtlichen Zugverbindungen nach Düren so gut gewesen wären, wie es heute der Fall war. Gerda wäre in die S-Bahn gestiegen und in einer halben Stunde zu Hause gewesen. Niemand hätte sie dann am Bahnhof angesprochen. Oder hatte sie vielleicht, keck wie sie war, versucht, per Anhalter durch die Nacht zu reisen? War sie dabei an den Falschen geraten? Warum hatte sie nicht angerufen, als niemand zur verabredeten Zeit kam? Es hatte doch genügend Telefonzellen am Bahnhof gegeben, damals. Als noch nicht jeder ein Handy besaß. Lorenz wischte diese Gedanken beiseite. Er hatte nicht vor, in der Anwesenheit seines Sohnes zu weinen.
    »Und was heißt das, ich werde sie beerben?«, fragte Stephan. Lorenz war ihm dankbar für diese Frage, konnte er sich doch so auf etwas Konkretes konzentrieren. »Ich halte das für eine Drohung«, meinte er ruhig. »Beerben heißt vermutlich so viel wie nachfolgen – in den Tod.«
    »Meinst du?« Stephan war längst nicht so ruhig wie der Alte. »Und wieso nennt der Absender sich Ambiorix? Nur als Hinweis

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