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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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auf die Vergangenheit? Und wieso war sie mir weit voraus?«
    »Nun ja, sie ist dir vorausgegangen, also zuerst gestorben.«
    »Aber auch im Leben, steht da. Was hatte sie mir voraus?«
    Lorenz schüttelte den Kopf. »Der Mensch, der dies geschrieben hat, ist sicherlich ein ziemlich verwirrter Geist. Wie können wir wissen, was er damit meint?«
    »Ach komm!« Stephans Stimme wurde lauter. »Du hast sie mir doch immer vorgezogen. Und der Schreiber dieses Briefes weiß das offensichtlich. Gerda war dein Liebling. Papa und Gerda stöbern in der Geschichte. Gerda studiert, Gerda ist das schöne, kluge Mädchen. Und ich war nur der ältere Bruder, der auf sie aufpassen musste, wenn sie mit irgendwelchen Typen in der Disco ...« Er brach ab.
    Lorenz wurde nun auch laut. »Was heißt das, Gerda mit irgendwelchen Typen? Und wenn du wirklich auf sie aufgepasst hättest, dann ...«
    »Was dann?«, schrie Stephan. »Dann würde sie noch leben? Ist es das, was du glaubst, was du immer geglaubt hast bis heute?«
    Lorenz schüttelte den Kopf, antwortete jedoch nicht. Er spürte, dass sein Sohn richtig lag. Auch wenn er es nie so formulieren wollte, er hatte Stephan die Schuld am Verschwinden der geliebten Tochter gegeben. Und ja, Gerda war das Nesthäkchen gewesen, das plötzlich flügge geworden und dann abgestürzt war. Seine Seele, sein Leben hätte er jederzeit für sie gegeben. Fast wäre er daran zerbrochen, als man sie ihm entrissen hatte.
    »Weißt du eigentlich, was du mir da all die Jahre angetan hast?«, fragte Stephan. Er schien sich im Gegensatz zu seinem Vater keine Mühe zu geben, in dessen Gegenwart nicht zu weinen. Tränen rannen ihm über das Gesicht, als er weitersprach: »Ich habe mir immer eingeredet, der Alte weiß es nicht besser, er will sich nur selbst schützen, weil er sonst nicht drüber wegkommt. Aber in Wahrheit hätte ich dich dafür umbringen können, mir die Schuld am Tod meiner Schwester zu geben. Ich habe die kleine Gerda so sehr geliebt, ich war immer für sie da. Auch bei Problemen, die man nicht mit dem Papa bespricht. Kannst du dir eigentlich vorstellen, in welche Hölle du mich verbannt hast? Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn Mama mir nicht beigestanden hätte.«
    »Ach Junge«, sagte Lorenz und wollte auf Stephan zugehen, konnte es aber nicht. Hilflos hob er einen Arm und ließ ihn wieder fallen. Nun war es an ihm, im Zimmer auf und ab zu gehen. Er spürte, dass er noch Zeit brauchte, um dieses Gespräch fortsetzen zu können. So sagte er nach einer Weile: »Ich habe auch eine Nachricht von diesem Ambiorix bekommen. Als Email.«
    »Was?«
    »Ja. Auch darin wird Gerda erwähnt, und es ist auch eine Drohung darin enthalten, dass es mir wie ihr ergehen wird.«
    »Wann hast du diese Nachricht erhalten?«
    »Jetzt erst. Kürzlich. Vor ein paar Tagen.«
    »Und hättest du mir davon erzählt?«, fragte Stephan.
    »Natürlich, ich wollte das schon früher tun. Aber da war auch noch dieses Bild.«
    »Was für ein Bild?«
    »Der Pfarrer fand es in der Nideggener Kirche auf dem Altar. Es handelt sich um ein mittelalterliches Motiv, jedoch sehen zwei Figuren darauf aus wie Gerda und ich.«
    Stephan schlug die Hände vors Gesicht. »Was soll man davon halten? Ich will gar nicht davon reden, dass ich für dich wohl der letzte Arsch bin, dass du mir so etwas nicht sofort erzählst. Das bin ich ja gewohnt. Aber hier geht es doch offensichtlich um mehr. Ich werde sofort Rita anrufen.« Er zog sein Mobiltelefon hervor.
    Lorenz fiel ihm in den Arm. »Nein, lass deine Tochter da bitte raus. Wir wissen doch noch gar nichts. Was will sie denn tun? Das ist nichts für die Polizei. Außerdem fahren Rita und Paul dieser Tage endlich mal in Urlaub. Die haben ein ganzes Jahr darauf gewartet, gleichzeitig zwei Wochen dienstfrei zu bekommen. Mit welcher Begründung willst du ihnen das jetzt vermiesen? Jemand schreibt seltsame Briefe und malt Bilder?«
    »Ich weiß echt nicht, wie du tickst, Papa«, sagte Stephan matt, steckte aber das Telefon wieder ein. »Jedenfalls sollten wir den Brief sorgfältig behandeln, vielleicht wird der noch auf Fingerabdrücke untersucht werden, meinst du nicht?«
    »Das klingt vernünftig«, stimmte Lorenz zu und legte den Bogen, den er immer noch in der Hand hielt, auf dem Schreibtisch ab.
    »Kann ich das Bild einmal sehen?«, fragte Stephan.
    »Bärbel hat es heute nach Düsseldorf gebracht, zu ihrem ehemaligen Institut an der Kunstakademie. Dort will sie es von Spezialisten

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