Nach alter Sitte
Vorschlag die vernünftigere Wahl war. Der Alte hatte eine unruhige Nacht verbracht. Vieles wirbelte in seinem Kopf durcheinander, zu vieles, um Ruhe finden zu können. Nachdem Rita ihm die Leviten gelesen hatte, war er mit Stephan übereingekommen, dass sie endlich ihren Frieden machen sollten, um diese Situation gemeinsam durchzustehen. Lorenz hatte nicht gesagt, dass er sich nicht mehr sicher war, ob er nicht vielleicht doch tatsächlich damals gesagt hatte, Gerda vom Bahnhof abholen zu wollen. Die ganze Nacht hatte er sich gefragt, warum es ihm so schwerfiel, zumindest die Möglichkeit offen einzuräumen. Und wieder einmal hatte er sich vorgenommen, es beim nächsten Mal besser zu machen.
»Schau mal, wer da kommt!« Bärbels Stimme holte Lorenz aus seinen Gedanken zurück in den Frühstücksraum der Seniorenresidenz Burgblick. »Wenn das nicht zwei Frischverliebte sind, weiß ich nicht, ob ich so etwas jemals sah.«
Lorenz blickte sich um. Er sah Gustav, der gerade mit Alexander Grosjean den Saal betrat und auf sie zusteuerte, aber von einem Liebespaar war weit und breit nichts zu sehen. Nur alte Leute, die an ihren Brötchen mümmelten. Im nächsten Augenblick schämte Lorenz sich, so begriffsstutzig zu sein, wenn es auch nur eine Sekunde gedauert hatte, bis er begriff, was Bärbel gemeint hatte. Gustav grinste, als er sich einen Stuhl zurechtrückte, und sagte: »Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich euch, ihr Lieben.« Grosjean schloss sich an. »Guten Morgen.«
»Wünsche eine gute Nacht gehabt zu haben«, brummte Lorenz. »Ihr strahlt ja über alle vier Backen. Und jetzt willst du die Brauteltern offiziell vorstellen, oder?«
Alexander Grosjean brach in schallendes Gelächter aus, noch bevor Gustav etwas dazu sagen konnte. Dann konnte auch Gustav sich eines Lächelns nicht erwehren, und Bärbel ließ die Schelte, die sie auf der Zunge hatte, unausgesprochen.
»Eins zu Null für Opa Bertold«, sagte Alexander. »Das gefällt mir.«
»Das ist gut«, meinte Gustav. »Denn etwas Freundlicheres wirst du von Lorenz niemals hören.«
»Lassen wir das mal so stehen«, meinte Lorenz. »Und bevor ich es mir wieder anders überlege, stelle ich mir jetzt ein gesundes Frühstück zusammen, und dann wollen wir doch mal sehen, was diese Archäologen zu finden imstande sind.«
Nicht einmal eine Stunde später standen alle zusammen am Ortsrand von Blens, bewunderten die Schönheit des Odenbachtales, dessen Wiesen sich steil in Richtung Schmidt den Berg hinaufzogen, und beobachteten die Gruppe junger Studenten, die neben der Polizeiabsperrung einen weiteren Graben gezogen hatten, der rechtwinklig zur Baugrube des Wilhelm Naas verlief. Benny hatte Lorenz, Bärbel, Gustav und Alexander Grosjean mit dem Transporter der Seniorenresidenz dorthin gefahren. Nicht ganz uneigennützig, denn kaum angekommen, sahen ihn die Alten mit Vera Distel flirten.
Gustav wies auf die Studenten, die mit Metalldetektoren ausgestattet waren. »Siehste, so macht man das«, sagte er zu Lorenz.
»Klar«, erwiderte der. »Du warst ja zu geizig, das eigene Team mit so etwas auszustatten. Apropos Ausstattung, hat jemand von euch meine Brille gesehen?«
»Ich meine, du hattest sie auf der Nase, als wir hergefahren sind«, antwortete Bärbel. »Hast du sie danach eingesteckt?«
Lorenz kramte in seinen Taschen herum. »Nö. Vielleicht hab ich sie hier verloren? Ich denke, es ist besser, ich geh sie mal suchen. Hoppla, da kommt der Chef.«
Professor Gräbeldinger kam auf die Senioren zu. »Da sind ja unsere Initiatoren. Es wird Sie sicher freuen zu erfahren, dass wir bereits die ersten Funde gemacht haben.«
»Ach, was denn?«, fragte Lorenz.
»Ein Pilum und etwas, was ich für den Knauf eines Gladius halte«, berichtete Gräbeldinger. »Sehen Sie selbst.« Er gab den Senioren einen Wink, ihm zu folgen, und führte sie zu einem Tisch, auf dem die genannten Artefakte lagen und von zwei Studenten vorsichtig gesäubert wurden. »Ja, das ist die Spitze eines römischen Wurfspeers«, sagte Lorenz begeistert.
»Bist du sicher?«, fragte Bärbel zweifelnd und betrachtete das rostzerfressene Ding, das wie eine in die Länge gezogene und dann vom Zahn der Zeit angefressene Pyramide aussah.
»Ganz sicher«, grinste Lorenz, der sich noch lebhaft an seine letzte Beschäftigung mit einem solchen alten Eisen erinnern konnte.
»Gutes Auge«, lobte Gräbeldinger. »Die meisten können aus einem so alten Klumpen keinen Gegenstand erkennen. Erst
Weitere Kostenlose Bücher