Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
Vom Netzwerk:
Mama.«
    Â»Du kannst nichts dafür.«
    Â»Aber es ist nun mal Davids Blog. Und er ist von so ein paar Idioten aus der Schule erpresst worden. Er musste denen Geld geben und für sie klauen.«
    Sie zupft die Wattepads zwischen ihren Zehen heraus, dabei hält sie den Atem an, stößt die verbliebene Luft in ihren Lungen erst wieder aus, als sich alle Pads auf der Fernsehzeitung befinden, die aufgeschlagen am Rand des Couchtisches liegt.
    Â»Nein, Maike, wirklich, du musst dich täuschen. Er wäre doch zu uns gekommen, wenn er erpresst worden wäre.«
    Ich schüttele den Kopf.
    Â»Er dachte, dann würde alles nur noch schlimmer werden. Sie haben ihn verprügelt, wenn er nicht gezahlt hat.«
    Ihre Hände zittern, als sie nach dem Nagellackfläschchen und dem Wattepad-Berg greift. Sie steht auf und geht ins Bad, wirft die Wattepads ins Klo. Ich sehe durch die geöffnete Badezimmertür, dass sie beinahe auch den Nagellack hineingeworfen hätte. Ich folge ihr und bleibe im Türrahmen stehen.
    Â»Mama, ist alles in Ordnung?«
    Sie klammert sich ans Waschbecken.
    Â»Er kann nicht geschlagen worden sein«, murmelt sie. Dann dreht sie sich um und schaut mich an wie jemanden, den sie vorher noch nie gesehen hat. Ich fühle mich unter diesem Blick wie eine Richterin, vor der sie sich zu rechtfertigen versucht: »Das hätte ich doch gemerkt!«

16
    Er hat schneller geantwortet, als ich erwartet hätte. Ich habe einen Kommentar in seinen Blog geschrieben, ich müsse mit ihm reden, wegen Exoplanet.
    Hast du ICQ?, hat er gefragt. Habe ich nicht. Aber auf Facebook habe ich mich mal angemeldet, da könnten wir gleich chatten, hast du gerade Zeit? Bin sofort da, antwortet er, ich bin dort Callisto Mustache, du musst ja eine Freundanfrage stellen, bevor wir chatten können.
    Während ich auf ihn warte, versuche ich, mir die Wörter, die Sätze zurechtzulegen, die ich ihm sagen will. Sie entgleiten mir immer wieder. Aus seinem Blog weiß ich, dass er fünfzehn Jahre alt ist, so alt, wie David es war. Ob er schon fünfzehn war, als David sich erschossen hat? Solche Fragen sind sinnlos.
    Es dauert keine fünf Minuten, bis der grüne Punkt vor seinem Namen anzeigt, dass er sich eingeloggt hat. Noch könnte ich verschwinden. Meinen Facebook-Account löschen, ich brauche ihn sowieso nicht. Ich müsste keine Fragen stellen und nicht mit Antworten umgehen müssen, die ich vielleicht nicht aushalten kann. Außerdem chatte ich nicht gerne, das ist umständlich. Lieber telefoniere ich, damit kann man wesentlich mehr Informationen in wesentlich kürzerer Zeit transportieren, und dazu gibt es auch noch eine Stimme, an der man sich orientieren kann, je nachdem, wie sie etwas sagt. Emoticons können die Stimme nicht ersetzen. David hat mich wegen meiner Einstellung ausgelacht. Du lebst hinterm Mond, hat er gesagt. Nein, aber im Gegensatz zu dir habe ich ein Leben, habe ich entgegnet. Die Erinnerung an diese Aussage lässt mich frösteln. Solche Unterhaltungsfetzen, die mir immer wieder einfallen, ergeben im Nachhinein ein unheimliches Bild, als wäre da ein Netz gewesen aus Andeutungen und unterbewusstem Wissen, das alles lange vorher erklärt und vorausgesagt hat, alles, was später geschehen ist.
    Das kleine Chatfenster rechts unten öffnet sich.
    huhu!, schreibt Callisto.
    Hey!, antworte ich. Wie geht’s?
    Dabei interessiert mich sein Befinden herzlich wenig. Ich will nur meine Fragen stellen und dann wieder verschwinden.
    gut. was gibt’s denn? was ist mit exo?
    Hattet ihr viel Kontakt?
    wer bist du überhaupt?
    Ich bin seine Schwester.
    hm, okay … und was willst du? ich hab ewig nichts mehr von exo gehört.
    Du weißt nicht, was passiert ist?
    was soll ich wissen? man, jetzt mach’s doch nicht so spannend.
    David ist Amok gelaufen.
    david?
    Das ist sein richtiger Name. Du scheinst ja echt nicht viel über ihn zu wissen.
    moment mal, du schlaumeierin. ich weiß eine ganze menge. wir haben eine zeit lang ziemlich oft gechattet, er hatte ein paar probleme, über die er sonst mit keinem reden konnte.
    Ich bin mir nicht sicher, ob Callisto diesen Seitenhieb beabsichtigt hat, aber er hat gesessen.
    Du meinst die Probleme mit N., T. und F.?
    ja.
    Hat er dir ihre vollständigen Namen gesagt?
    nee, da haben wir nicht drüber gesprochen. hätte nichts geändert, ich kenne die ja nicht. aber was meinst du mit

Weitere Kostenlose Bücher