Nach dem Amok
gesagt haben, dass niemand mehr im Saal sei.«
»Hast du sie darauf angesprochen?«
»Was nützt es mir denn, wenn sie es mir gegenüber zugibt? Jannik will sowieso nicht glauben, dass sie eine intrigante Person ist. Die blöde Gans ist ja seine beste Freundin.«
»Du könntest ihr Geständnis mit dem iPod aufnehmen und es Jannik dann vorspielen. Da gibt es so ein kleines Mikro, das man einfach an den iPod anstöpselt, dann geht das.«
Auf dem letzten Stück der Steigung reden wir nicht. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, in den Beinen entsteht ein Schmerz, der als unangenehmes Ziehen beginnt und sich dann zu einem heiÃen Brennen auswächst. Jedes Mal will ich an dieser Stelle aufgeben und vom Rad absteigen, es die letzten Meter nach oben schieben. Jedes Mal tue ich es nicht, weil Kim es auch nicht tut.
Ich denke über Kims Vorschlag nach, Sandra mit dem iPod aufzunehmen, und komme zu keinem endgültigen Ergebnis. Allerdings beschlieÃe ich zumindest, später noch einmal darüber nachzudenken, weil es sich möglicherweise lohnen könnte.
Die Ausflüge mit Kim machen SpaÃ. Sie ist gern drauÃen unterwegs und dabei immer gut drauf. Von ihrer Wohnung aus kann man einfach losfahren und ist sofort mitten in der Natur. Früher hätte ich das langweilig gefunden, aber mit Kim ist es spannend. Sie verliert nie die Orientierung, auch wenn wir einen Weg nehmen, den sie selbst noch nicht kennt. Ich hingegen habe keinen besonders guten Orientierungssinn, ohne sie wäre ich aufgeschmissen. Wenn ich nach einem solchen Ausflug nach Hause zurückkomme, geht es mir bis in den nächsten Tag hinein ziemlich gut. Die frische Luft, der Frühling, die Bewegung, Kims unbekümmertes Geplauder über Belanglosigkeiten. Das alles hatte ich schon so lange nicht mehr.
Jannik hat gelacht über mein plötzliches Interesse an Radtouren und angekündigt, irgendwann mal mitzukommen. Er hat Kim noch nicht kennengelernt, und ich habe keine Eile damit, die beiden miteinander bekannt zu machen, immerhin müsste er dann auch aufpassen, was er sagt, genau wie ich. Und ich weià auÃerdem nicht, wie ich ihm erklären soll, dass ich Kim nichts von David erzählt habe. Er glaubt ja, sie wüsste längst Bescheid.
»Kannst du noch oder müssen wir Pause machen, alte Frau?«, ruft Kim über ihre Schulter nach hinten.
Ich strecke ihr die Zunge raus, was sie nicht sehen kann, und verstärke das Zungerausstrecken deshalb mit einem eindeutigen Zungerausstreck-Geräusch. Auf dem jetzt wieder einigermaÃen ebenen Weg trete ich fest in die Pedale, das heiÃe Brennen in den Beinen hält dadurch an, aber es gelingt mir, an Kim vorbeizuziehen und sie abzuhängen. Nach der nächsten Kurve warte ich hinter einem Busch auf sie und erschrecke sie so sehr, dass sie laut kreischt. Wir werfen unsere Räder an den Wegrand, bombardieren uns johlend mit sandigen Grasbüscheln.
»Wenn ich mein erstes Geld verdient habe«, sagt Kim, als wir genug haben vom Grasbüschelwerfen, »dann mache ich eine Reise. Eine richtig lange, weite Reise. Rucksack packen und los. Zuerst setze ich mich einfach in den Zug und steige in irgendeiner Stadt im Ausland aus, die mir spontan gefällt. Und wenn ich sie satthabe, dann geht es weiter in die nächste Stadt.«
»Das wird aber ganz schön kostenintensiv, wenn du nicht vorher planst«, ziehe ich sie auf.
»Du vergisst, dass ich verdammt viel Geld verdienen werde«, grinst Kim.
»Ach so, ja, hast recht. Ganz vergessen.«
Wir steigen auf unsere Räder und fahren weiter. Der Weg ist jetzt wieder breit genug, um nebeneinanderfahren zu können. Heute wollen wir an der Stelle, wo wir beim letzten Mal links abgebogen sind, rechts entlang. Es soll dort einen kleinen See geben, an dem Kim schon mal gewesen ist, aber damals sind ihre Eltern und sie mit dem Auto hingefahren.
»Und du?«, fragt Kim. »Was machst du mit deinem ersten selbst verdienten Geld?«
»Ich weià ja noch nicht mal, welchen Beruf ich haben möchte.«
»Völlig egal.«
»Vielleicht kaufe ich mir einen von diesen riesigen amerikanischen Kühlschränken. Vorausgesetzt, ich habe dann schon eine eigene Wohnung.«
»Ach, das mit dem Kühlschrank ist dir doch eben erst eingefallen. Du wirst dir nie im Leben so ein Teil anschaffen. Du willst etwas ganz anderes.«
»Okay, kein
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