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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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Kühlschrank.«
    Â»Was dann?«
    Â»Ich weiß es nicht.«
    Kim setzt sich vor mich und macht eine Vollbremsung. Ich bremse ebenfalls sofort, knalle allerdings trotzdem noch mit einiger Wucht in ihr Vorderrad. Wir halten uns aneinander fest, einen Moment lang sind wir irgendwo zwischen Aufrechtbleiben und Umfallen, dann finden wir die Balance wieder.
    Â»Raus damit«, sagt sie ungerührt.
    Â»Was ich mir wünsche, kann man nicht mit Geld bezahlen.«
    Â»Jetzt wird’s interessant!«
    Â»Manchmal wäre ich gern jemand anderer. Eine andere Person mit einem anderen Leben.«
    Wir fahren in gemäßigtem Tempo weiter, in die Richtung, in der wir den See vermuten, und ich ärgere mich, dass ich so viel preisgegeben habe. Wenn der größte Wunsch eines Menschen der ist, eine andere Person zu sein, dann hat das Gründe. Kim wird mich nach diesen Gründen fragen. Sie weiß, dass ich einen Freund habe, dass ich nicht schlecht in der Schule bin und kein Scheidungskind. Was sollte mich dazu bringen, eine andere sein zu wollen?
    Â»Ich wäre auch hin und wieder gern eine andere Person«, meint Kim nach einer Weile. »Manchmal sehe ich jemanden auf der Straße, der irgendwie interessant wirkt, und ohne sein Leben zu kennen, stelle ich mir vor, meins mit seinem zu tauschen, einfach so, ohne zu wissen, was ich dafür im Gegenzug kriege. Das ist doch voll normal.«
    Als ich zur Seite blicke, schaut Kim so verständnisvoll aus ihren dunkelblauen Augen, dass ich mir sicher bin, noch mal davon gekommen zu sein.
    Â»Ich glaube eher, wir beide sind ein bisschen seltsam«, sage ich und lache erleichtert.
    Â»Ãœbrigens kann man eine andere Identität durchaus mit Geld bezahlen. Du besorgst dir einfach einen gefälschten Pass.«
    Â»Logisch.«
    Â»Wow, das muss aufregend sein! Und zugleich ist es doch auch ziemlich ungefährlich, weil es gar nicht schlimm ist, wenn deine echte Identität rauskommt, denn du hast ja niemanden umgebracht oder so. Du bist ja nicht auf der Flucht.«
    Vor uns taucht der See auf, ganz plötzlich, hinter einer Biegung. Kein Mensch ist zu sehen. Der See liegt ziemlich abgelegen und ist recht klein und zum Schwimmen ist es noch zu kalt.
    Â»Wie seid ihr denn damals mit dem Auto hergekommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier in der Nähe einen Parkplatz gibt.«
    Â»Das ist nicht der See, den ich meinte.«
    Â»Wir haben uns verfahren?«
    Â»Nein, haben wir nicht. Verfahren hat man sich, wenn man nicht weiß, wo man ist und wie man wieder zurückkommt. Wir haben nur den einen See nicht gefunden, dafür einen anderen. Der größere, den ich meinte, ist wahrscheinlich ganz in der Nähe. Bestimmt liegt er einfach ein Stück hinter diesem.«
    Â»Wollen wir weitersuchen?«
    Â»Warum denn? Ist doch richtig schön hier. Und diesen See haben wir ganz für uns allein. Bei dem anderen wäre ich mir nicht so sicher, dort gibt es eine große Liegewiese.«
    Seufzend betrachte ich die vielen Kiesel am Ufer und das wenige Gras. Eine Liegewiese wäre nicht zu verachten. Wir suchen uns eine Stelle, an der man halbwegs bequem sitzen kann. Wir haben keine Decke dabei, weil wir ursprünglich nicht vorhatten, an irgendeinem See zu landen.
    Nachdem wir ein paar Brote und Müsliriegel gegessen haben, beschließt Kim, schwimmen zu gehen.
    Â»Das Wasser ist eiskalt«, gebe ich zu bedenken.
    Â»Ich fahre doch nicht an einen See und gehe wieder, ohne im Wasser gewesen zu sein!«
    Â»Außerdem haben wir keine Badesachen dabei.«
    Â»Siehst du hier jemanden, der sich daran stören könnte? Da hast du es, noch ein Pluspunkt für den kleinen See!«
    Kim zieht zuerst nur Schuhe, Socken, Hose und Shirt aus und rennt in Unterwäsche bis zum Wasser. Ich muss lachen, weil sie wegen der vielen Kiesel so staksig läuft. Dann schleudert sie auch noch BH und Slip von sich und tastet sich mit merkwürdigen Hüpfern ins Wasser.
    Â»Kalt!«, schreit sie und hopst wie eine Verrückte. »Los, komm schon mit rein!«
    Â»Keine Chance!«, rufe ich zurück.
    Â»Ich schwöre dir, ich komme dich holen!«
    Â»Mach doch, du nacktes Huhn!«
    Ich schnappe mir ihre Hose und ihr Shirt und laufe damit vom See weg, zwischen die Bäume. Den BH und den Slip lasse ich ihr, falls sich doch ein Spaziergänger hierher verirren sollte. Ich will ja nicht unfair sein. Kim rennt fluchend aus

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