Nach dem Amok
zwingt, seinen Ãrger zurückzuhalten. Sie hört sich an wie jetzt.
»Ich komme raus, wenn es mir passt.«
Das ist so, als würde man Ãl ins Feuer gieÃen. Schritte entfernen sich von der Tür. Wahrscheinlich sind es seine, denn wenn er geblieben wäre, wäre er mit Sicherheit innerhalb der nächsten Minute ausgerastet.
Einen Moment lang ist es ganz still. Zuerst glaube ich, dass sie ebenfalls weggegangen ist, aber dann vernehme ich ihren Atem hinter der Tür, ein gepresstes, schweres Ausatmen.
»Bitte, Maike«, sagt sie leise. »Wir haben doch nur noch uns.«
Aber das ist eine Logik, die ich längst nicht mehr begreife. Ich will nicht geduldet sein, weil man sonst niemanden mehr hat. Also warte ich weiter ab, warte, dass Zeit vergeht, dass eine Ewigkeit beginnt oder vorbeigeht, und rede nicht mehr. Sie macht keinen weiteren Versuch, mich zum Sprechen zu bewegen, bleibt noch eine Weile vor der Tür, legt irgendetwas dagegen, eine Hand oder vielleicht die Stirn. SchlieÃlich entfernen sich ihre Schritte. So leise, dass ich es fast nicht bemerkt hätte.
29
Noch am selben Abend klingele ich an Kims Haustür. Ich bin mit dem Rad zu ihr gefahren wie meistens. Das Rad habe ich an die Vorgartenhecke gelehnt und die rote Reisetasche vom Gepäckträger genommen. Sie ist mir auf dem Weg hierher ein paar Mal heruntergefallen. Das Plastik, mit dem die Ecken verstärkt sind, ist jetzt noch abgewetzter als vorher.
Es ist kurz nach halb sieben und noch nicht dämmrig, aber der Himmel ist wolkenverhangen und grau. Im Haus brennt bereits Licht. Es dauert eine ganze Weile, bis jemand auf mein Klingeln hin die Tür öffnet. Würde das Licht nicht brennen, hätte ich aufgrund der langen Wartezeit angenommen, es sei niemand daheim. Doch nun steht Stefan vor mir und mustert mich überrascht.
»Hallo, Maike! Ich wusste gar nicht, dass du heute noch vorbeikommst.«
Kim taucht hinter ihm auf. Jubelnd stürzt sie auf mich zu, fällt mir um den Hals.
»Oh, prima! Hast du an das Buch gedacht?«
Dann bemerken beide gleichzeitig die Reisetasche, die ich hinter mir abgestellt habe. Sie sagen nichts. Stefan schaut zuerst Kim fragend an, dann mich. Kim sieht besorgt aus. Jetzt gesellt sich Ramona zu den beiden. Sie bemerkt die Tasche sofort.
»Was ist passiert?«, fragt sie ohne Umschweife.
»Bitte«, beginne ich und weià nicht, wie ich den Satz beenden soll. »Könnte ich ein paar Tage bei euch bleiben?«, entscheide ich mich dann für die direkteste Variante. »Ich halte es daheim gerade gar nicht mehr aus.«
»Komm erst mal rein«, bestimmt Ramona.
Stefan tritt zur Seite, um mir Platz zu machen, und sieht ziemlich ratlos aus. Kim nimmt mir die Tasche ab und stellt sie unter die Garderobe.
»Ich mache uns einen Tee«, sagt Ramona.
Im Haus duftet es nach Abendessen, aber das Essen scheint bereits beendet zu sein, denn in der Küche sehe ich zusammengeräumtes benutztes Geschirr auf der Arbeitsplatte stehen. Ich rieche Oregano und Muskat. Stefan hat mir in den letzten Wochen einiges über das Kochen beigebracht. Es ist eines der wenigen Dinge, für die Kim sich nicht begeistern kann. Sie hat einfach nicht die Geduld dafür.
Ramona stellt den Wasserkocher an, dann sitzen wir alle am Tisch in der Essecke im Wohnzimmer. Kim ist so nervös, dass sie ihre Beine nicht ruhig halten kann. Der Tisch vibriert von ihrem Gezappel und zum ersten Mal überhaupt bemerke ich einen ärgerlichen Blick von Stefan in ihre Richtung. Das passiert wegen mir. Nur wegen mir.
»Was ist denn los?«, fragt Kim vorsichtig. »Haben sie doll gestritten?«
»Ich hatte eine schlechte Note.«
»Aber das kann doch mal passieren«, nimmt sie mich in Schutz, ihre Entgegnung kommt prompt, als wolle sie potenziellen negativen Kommentaren ihrer Eltern vorbeugen. »Der ganze Stress mit Jannik. Ist doch normal, dass dir das zugesetzt hat.«
»Eigentlich mehrere schlechte Noten.«
»Na ja«, sagt Ramona, »auch das ist doch kein Beinbruch. Soweit ich weiÃ, warst du sonst immer gut in der Schule. Da kann man auch ein paar nicht so gute Noten wieder ausbügeln. Deine Eltern sind sicher für dich da, auch wenn sie erst mal geschimpft haben.«
»Kann ich bleiben? Nur für ein paar Tage.«
Der Wasserkocher schaltet sich ab. Niemand achtet darauf.
»Prinzipiell ist das natürlich möglich«, windet
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