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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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sich Stefan. »Aber das hilft dir doch auch nicht weiter, Maike. Setz dich lieber gleich mit deinen Eltern zusammen. Sprecht über alles. Wissen sie überhaupt, dass du hier bist?«
    Ich schaue Hilfe suchend zu Kim, doch sie weicht meinem Blick aus. Also konfrontiere ich sie direkt.
    Â»Du hast gesagt, meine Familie sei auch deine!«
    Ramona sieht mich entgeistert an und Stefan bekommt einen Moment lang den Mund nicht mehr zu. Dann wandern beide Augenpaare zu Kim, die schuldbewusst auf die Tischdecke starrt, eine weiße Tischdecke mit roten, grünen und braunen Ornamenten, die nichts Bestimmtes darzustellen scheinen.
    Â»Aber das war doch symbolisch gemeint«, murmelt sie.
    Ramona schüttelt verständnislos den Kopf, zuerst in Kims Richtung, dann in meine.
    Â»Nein, Maike. Du kannst nicht bleiben. Selbst wenn deine Eltern es erlauben würden, was ich bezweifle, kann es nicht die Lösung sein, dass du unsere Familie als Ersatz für deine Eltern benutzt.«
    Â»Aber ich benutze euch doch nicht!«
    Â»Das tut sie wirklich nicht«, kommt mir endlich Kim zu Hilfe.
    Â»Entschuldige«, korrigiert sich Ramona. »Das war nicht der richtige Ausdruck. Es ist nicht so, dass du uns zur Last fallen würdest. Aber das ist mir definitiv zu viel Verantwortung. Ich fand es schon ein bisschen kritisch, wie sehr du dich in den letzten Wochen an Kim geklammert hast, aber ich dachte, lass die beiden mal machen, die sind eben füreinander da. Doch jetzt nimmt das Ganze ein Ausmaß an, das von unserer Seite aus einfach nicht mehr zu verantworten ist.«
    Sie erhebt sich und widmet sich der Teezubereitung.
    Â»Du musst das verstehen, Maike«, sagt nun Stefan. »Wir kennen dich noch nicht lange. Es ist nicht gut, dass wir für dich zu so enormen Bezugspersonen geworden sind.«
    Â»Aber ihr seid es nun mal!«, ruft Kim. »Ihr könnt sie doch jetzt nicht einfach wegstoßen!«
    Stefan seufzt. Bestimmt bereut er zutiefst, dass er mich immer in seine Kocherei mit einbezogen hat und einmal scherzend angemerkt hat, dass man Kim und mich wohl im Krankenhaus vertauscht haben müsse, weil ich seine Leidenschaft fürs Kochen teile und Kim nicht.
    Â»Wer redet denn von Wegstoßen«, sagt er. »Ich mache dir einen Vorschlag, Maike. Wir setzen uns alle zusammen, mit deinen Eltern. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung, wie du dich daheim wieder wohler fühlen kannst. Aber hierbleiben kannst du nicht.«
    Â»Nur für heute Nacht, bitte!«
    Â»Auch nicht für heute Nacht«, mischt sich jetzt Ramona wieder ein. »Das war wahrscheinlich schon beim letzten Mal nicht richtig. Man sieht ja, wohin es geführt hat.«
    Sie taxiert bei diesen Worten den Flur, auch wenn die Reisetasche unter der Garderobe von hier aus nicht zu sehen ist.
    Â»Mum!«, sagt Kim. Mehr nicht.
    Â»Ich denke, wir sind im Moment alle etwas aufgebracht«, beschwichtigt Stefan.
    Â»Wir trinken jetzt in Ruhe einen Tee, und dann fährt Stefan dich nach Hause, Maike«, beschließt Ramona, stellt Tassen vor jeden von uns und gießt dampfenden Tee hinein, der dunkel ist und bitter riecht, obwohl er nur kurz gezogen hat.
    Â»Ich komme mit, okay?«, sagt Kim, und ich weiß nicht genau, ob sie mit dem Okay ihre Mutter um Erlaubnis zum Mitkommen bittet oder mich.
    Â»Ich bin mit dem Rad hergekommen.«
    Â»Das packen wir in den Kofferraum«, sagt Stefan. »Maike, ich werde dich persönlich bei deinen Eltern abliefern, ob es dir passt oder nicht.«
    Â»Ihr könnt mich nicht zwingen«, entgegne ich und stehe auf, ohne den Tee angerührt zu haben.
    Â»Wenn du jetzt gehst, müssen wir deine Eltern anrufen«, höre ich Ramona hinter mir.
    Der Raum kommt mir plötzlich furchtbar eng vor.
    Â»Warum hast du so ein Problem damit, dass jemand deine Eltern kennenlernt?«, fragt Kim. »Das mit dem Streiten und der aufgesetzten Fröhlichkeit, wenn Besuch kommt, das ist doch nicht der wahre Grund! Was ist wirklich los?«
    Ich spüre, wie alles, was ich seit Wochen gegenüber Kim verschweige, aus mir herausbrechen will. Um mich herum dieser enge Raum. Die Enge in meiner Brust. Ich verliere die Beherrschung.
    Â»Das willst du wissen?«, schreie ich sie an. »Das willst du wirklich wissen? Dann sag ich’s dir eben: Weil ich nicht die bin, für die du mich hältst! David R., der Amokläufer, erinnerst du dich an die Zeitungsberichte? Das war

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