Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
nein, sie wisse leider auch nicht, wohin er gegangen sei, und gerne versuche sie es auf seinem Handy. Sie tippte mit ihren langen, blutrot lackierten Fingernägeln auf ihrer Telefonanlage herum, um dann der Besuchergruppe vor dem Empfangstresen demonstrativ den Hörer entgegenzustrecken: »Dieser Anruf kann momentan nicht entgegengenommen werden, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt.« Auf die Frage nach einer anderen, einer privaten Handynummer schüttelte die Schöne entschieden den Kopf.
»Und jetzt?«
»Jetzt ist Schluss für heute.«
Die drei standen im Feierabendverkehr auf der Linken Wienzeile, ein wenig unschlüssig, welche Richtung sie nun einschlagen sollten. Anna war wieder die Alte, sie nahm das Zepter in die Hand. »Frau Kratochwil, Sie gehen jetzt nach Hause, Ihr Überstundenkonto möcht ich mir nicht mal vorstellen. Und du, Thomas? Hast du schon ein Hotel? Nein? Wo hast du denn die letzte Nacht geschlafen?«
»Im Präsidium an deinem Schreibtisch habe ich gesessen, meine Liebe. Ganz Wien hat dich gesucht. Glaubst du, da hab ich geschlafen?«
»Das rührt mich. Also, wir rufen jetzt den Hofrat an, es muss sofort eine Großfahndung raus. Der Steiner darf das Land nicht verlassen, wenn er nicht schon längst weg ist.«
»Das glaub ich nicht. Den hättest du heute mal sehen sollen auf dieser Pressekonferenz. Mister Unverwundbar. Der ist dermaßen selbstbesoffen, der haut nicht ab.«
»Dabei steht er mit einem Fuß schon im Häfn, es sei denn, jemand hält seine schützende Hand über ihn.«
Sie verabschiedeten sich von Gabi Kratochwil, die aussah, als könne sie sich nur schwer von ihnen trennen, und fuhren ins Präsidium. Der Hofrat war noch in seinem Büro, eines der wenigen Lichter, das im riesigen Haus am Donaukanal noch brannte.
»Endlich, Frau Habel! Ich hab schon geglaubt, Sie seien wieder verschwunden!«
»Das werde ich mir wohl die nächsten zehn Jahre anhören müssen, jedes Mal wenn ich aufs Klo geh und mein Handy nicht mithab.«
Der Hofrat war milde gestimmt, hörte den Ausführungen der beiden zu, ohne sie zu unterbrechen, und rief dann den diensthabenden Staatsanwalt an, um eine Fahndung nach Hans-Günther Steiner zu beantragen. »Mit Verlaub, ich hoff, Sie irren da nicht, meine lieben Kollegen, es wär nicht gut für uns, wenn das eine falsche Spur wär. Obwohl, die Indizien sprechen sehr dafür, dass er da involviert war. Wie auch immer: Zumindest als Zeugen brauchen wir ihn. Frau Habel, Sie gehen jetzt trotzdem schlafen, das ist gar nicht gesund, dass Sie da so herumlaufen, nach all dem, was Sie durchgemacht haben. Der Herr Kollege aus Berlin bringt Sie jetzt schön nach Hause, damit Ihnen nicht noch was passiert.«
Anna blies die Backen auf und wollte gerade etwas von »Kindermädchen« und »schon groß« murmeln, da sah sie der Hofrat noch mal durch seine dicken Brillengläser an. »Weiß man denn schon, wer Sie in diesem Keller eingesperrt hat?«
»Nein, keine Ahnung. Vielleicht war’s ja auch der Steiner.«
»Na, na, na, jetzt geht aber die Phantasie ein bisserl mit Ihnen durch, Frau Kollegin. Wir werden das schon auch noch klären. Jetzt aber schnell nach Hause.«
35
Der Feierabendverkehr war vorbei, der Donaukanal lag ruhig vor ihnen.
»Und jetzt?«
»Jetzt gehst du in ein Hotel, zum Beispiel ins Regina, das kennst du ja schon, und ich geh schlafen.«
»Musst du nichts essen?«
»Essen? Was ist das? Ich kann mich nicht genau erinnern. Ah ja, das ist das, was ich heute im Krankenhaus in Form einer grauen Erbsensuppe zu mir genommen habe und heute Abend verpackt als Müsliriegel.«
»Siehst du. Wir gehen jetzt was essen, wie immer ergebnisorientiert. Vorschläge?«
»Na ja, wenn du mich so fragst, dann am liebsten bei mir ums Eck. Wenn ich jetzt was esse und ein Glas Wein trinke, dann kann ich wahrscheinlich keinen Schritt mehr gehen.«
»Gut. Du bist die Bestimmerin.«
»Weiß ich eh.«
Im Kutschker 44 war Annas Lieblingsplatz in der vorletzten Fensternische frei. Sie warf einen kurzen Blick in die Karte, klappte sie zu und blickte Bernhardt erwartungsvoll an.
»Mein Gott, bist du schnell!« Er blätterte unentschlossen in der dünnen Speisekarte vor und zurück und bestellte sich erst mal ein Bier, Anna einen Zweigelt.
»Hier kannst du alles essen, aber heb dir noch ein bisschen Appetit für die Nachspeise auf. Ohne die kommst du hier nicht raus.«
»Was soll ich nur… Beuschl, was war das noch gleich?«
»Lunge. Vom Kalb. Eine
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