Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Kollegen abrupt, Gabi Kratochwil starrte auf ihren Bildschirm, und Helmut Motzko schob hektisch ein paar Papiere hin und her. Auf seinen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab.
»Na, soll ich noch mal rausgehen, damit ihr den Satz zu Ende sprechen könnt?«
»Es tut uns leid, dass das nichts wird mit Ihrem Urlaub, Frau Habel. Können wir irgendwas tun?«
»Nein, nein, ist schon okay. Ich kann euch ja schließlich nicht alleine lassen hier, mit diesen ganzen Schwerverbrechern.«
Plötzlich war ihre ganze Wut verflogen, und sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. So müde und kraftlos hatte sich Anna schon lange nicht mehr gefühlt. Jetzt würde sie erst mal bei der Zimmerwirtin in Zell am See anrufen und versuchen, die Reservierung zu stornieren, und sich dann bei ein paar Freunden melden, um wenigstens in Wien eine halbwegs angenehme Woche zu verbringen. Vielleicht ein wenig Theater, Kino, mal mit Paula Spritzer trinken, eventuell mit Harald, ihrem Uralt-Freund und zeitweiligen Liebhaber, ins Kutschker zum Essen gehen.
Die Besitzerin der Pension Lisi in Zell am See war zwar ein wenig traurig, aber sehr konziliant und erließ Anna ohne Diskussion die Stornogebühr. »Mei, wär scho nett g’wes’n, wennst kummen wärst, aber da kann ma halt nix machen, jetzt, wo du so was Wichtiges ’worden bist – a Chefinspektorin!« Anna versprach, sie würde versuchen, ein paar Wochen später zu kommen, und Lisi versicherte, dass es dieses Jahr Schnee bis in den April geben würde.
Als Anna den Hörer auflegte, stand Gabi Kratochwil auf, ging zögernd die wenigen Schritte zum Schreibtisch ihrer Vorgesetzten und legte einen ordentlich gehefteten kleinen Stapel Papier auf ihren Tisch. »Das wären die Berichte der letzten eineinhalb Jahre über die tote Schauspielerin.«
»Danke schön. Mein Gott, sind Sie schnell. Super!«
Gabi Kratochwil errötete, sie stammelte etwas von Kaffee und verließ das Büro. Der junge Kollege folgte ihr rasch.
Anna las den ersten ausgedruckten Artikel, er war vom Sommer vor eineinhalb Jahren. Sophie Lechner spielte die Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen. Die Kritik überschlug sich geradezu vor Lob, wobei es weniger um ihre schauspielerische Leistung als um ihre Ausstrahlung ging. Bei Ausstrahlung handelte es sich wohl um eine Verklausulierung von Aussehen, überlegte Anna, und ihr Blick blieb auf dem Foto der Lechner haften. Volle Lippen, eine freche Stupsnase, hochgesteckte rotblonde Haare, aus denen sich effektvoll einige Strähnen gelöst hatten, und ein beachtliches Dekolleté, das in einer weit ausgeschnittenen weißen Bluse voll zur Geltung kam. Aus ihren Augen blickte Lebenslust und Schalk, und Anna wurde ein wenig wehmütig, als sie sich diesen Körper leblos auf der Berliner Gerichtsmedizin vorstellte.
Der nächste Artikel stammte aus einem Boulevard-Wochenmagazin und zeigte die Lechner im roten Cabriolet mit Hans-Günther Steiner, der besitzergreifend einen Arm um seine Beifahrerin gelegt hatte und in die Kamera lächelte. Das Gesicht eine Spur zu sonnengebräunt, die Haare einen Tick zu lang, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Der Artikel war nichtssagend, vom neuen Traumpaar der österreichischen Kulturszene war die Rede, zwei Gewinner, die gemeinsam unschlagbar sein würden, von denen man noch Großes zu erwarten hätte.
Ein paar Theaterkritiken hatte Gabi Kratochwil ordentlich untereinandergereiht, das heißt, sie hatte in der kurzen Zeit nicht nur die Artikel rausgesucht und kopiert, sondern sie auch noch nach einem sinnvollen System gegliedert. Immer wieder stand Sophie Lechners Aussehen im Mittelpunkt, ihre Bühnenpräsenz und ihre schauspielerischen Fähigkeiten. Lediglich eine Zeitung, und zwar immer derselbe Kritiker, hatte nichts als Verachtung für Sophie Lechner übrig. »Völlig überschätzt«, »nervige Stimme«, »der Bluff des Jahrzehnts«, hieß es da. Der Autor machte kein Hehl daraus, dass er Sophie Lechner nicht ausstehen konnte, ja sich offensichtlich ziemlich auf sie eingeschossen hatte. Im nächsten Artikel: der Brand im Penthouse, das Steiner und Lechner gemeinsam bewohnten, Anna erinnerte sich an Paulas Erzählung. Ein paar Fotos einer ziemlich verwüsteten Wohnung, ein Bild von Steiner, der schützend eine Hand in Richtung Kamera hielt und ziemlich aggressiv wirkte, und schließlich versteckt im Artikel die Behauptung von Sophie Lechner, dass das ein Anschlag auf sie gewesen sei.
Anna rief den Akt in der internen Datenbank auf. Es
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