Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
wenn das recht war. Ich hatte ja genügend Zeit.«
»Hast du sehr gut genutzt, klasse. Und?«
»Da ist nichts Besonderes zu erwarten. Morgen früh hat er alles beisammen, und dann meldet er sich. Das war’s.«
Bernhardt und Cellarius gingen noch zu der Physiotherapeutin im Erdgeschoss. Eine farblose, blasse Person, auf unentschiedene Weise blond, vom Tagesgeschäft müde. Wenig ergiebig, wie sich schnell herausstellte: Ja, die Lechner war bei ihr in Behandlung, schwere Verspannungen, sicher auch psychosomatisch bedingt, ab und zu hat sie von der Klosterschule erzählt, aber irgendwie war das immer wie aus einem Fernsehfilm. Einmal hatte sie ein großes Hämatom am Hintern, von einem Sturz angeblich. Sonst wisse sie nichts. Nein, ein Mann, der zu ihr gegangen ist, nein, hat sie auch nichts von erzählt, hat sich sowieso immer ziemlich zurückgehalten.
Mehr war nicht aus der Physiotherapeutin rauszuholen. Also, Kärtchen, und wenn Ihnen noch etwas einfällt, bitte melden!
Als sie sich vor dem Haus voneinander verabschiedeten, fragte Cellarius, ob Bernhardt Lust habe, mit zu ihm nach Hause zu fahren, zum Abendessen: »Meine Frau würde sich freuen!« Aber Bernhardt lehnte, wieder einmal, ab. Ein anderes Mal. Cellarius hatte vor längerer Zeit erzählt, dass sein Schwiegervater in England die Kaminverkleidung aus einem alten Landhaus gekauft und in seinem Bungalow in Dahlem hatte einbauen lassen. Als Bernhardt ihn später einmal auf den Kamin ansprach, war es Cellarius sehr peinlich. Er wohnte jetzt nämlich mit seiner Frau in dem väterlichen Haus, und nichts war ihm unangenehmer, als wenn Bernhardt ihn als reichen Pinkel oder Erbschleicher sah.
Vor Bernhardts innerem Auge tauchte manchmal der englische Antikkamin auf. Schöne Vorstellung, vor einem flackernden Kaminfeuer zu sitzen, dachte er, als er die Treppen zu seiner im 4. Stock gelegenen Hinterhauswohnung in der Merseburger Straße hochstieg.
Da er die Gasetagenheizung nicht abgestellt hatte, hatte sich in der Küche und den zwei kleinen Zimmern eine muffige Wärme breitgemacht. Der Klempner, der die Gastherme einmal im Jahr einer Sicherheitsprüfung unterzog, hatte bei seinem letzten Besuch den Kopf geschüttelt: »Is’ im Normbereich, aber det Ding zieht so viel Sauerstoff, da würd’ ick imma mal wieda lüften, sonst hängen Se in der Wohnung nur rammdösig rum oder wachen eenes Morjens nich mehr uff.«
Er trat auf den kleinen Balkon. Die riesige Kastanie streckte ihre kahlen, schneebedeckten Zweige von sich. Wo waren eigentlich die Vögel, die im Sommer in der Morgendämmerung zu Hunderten in dem Baum rumlärmten? Im Süden? Er fror. In der Wohnung gegenüber brannte kein Licht. In diesem Moment hätte er Sylvia Anderlecht, mit der er vor Jahren einmal befreundet gewesen war, gerne angerufen. Was hatte sie damals gesagt: »Du bist einfach nicht alltagskompatibel.«
Sie hatten sich danach nur noch selten gesehen, aber sich immer wieder mal von Wohnung zu Wohnung zugewinkt. Jetzt, an diesem bitterkalten Abend, dachte er an den Sommer, als sie manchmal nackt durch die Zimmer gelaufen war und sich einmal die kalte Mineralwasserflasche, die sie aus dem Kühlschrank geholt hatte, gegen ihren Hintern gepresst und gelacht hatte.
Sein Handy vibrierte.
»Hallo!«
Die ruhige, wie in einem Traum gefangene Stimme von Cornelia Karsunke.
»Hallo, ich wollte auch gerade bei dir anrufen.«
»Wer’s glaubt.«
»Doch, bin gerade erst nach Hause gekommen. Wie geht’s dir?«
»Ach, ganz gut. Du bist mein Retter, weißt du das? Ich habe den ganzen Tag Lindenblütentee getrunken, den aus der Apotheke, ist doch klar, und seit ein paar Stunden trinke ich heißen Apfelwein, natürlich mit Zimt, Honig und Zitrone. Und langsam bin ich so richtig schön besäuselt. Und ich habe kein Fieber mehr, habe gerade gemessen. Und du? Bist du erkältet?«
»Nein, natürlich nicht. Du weißt ja, warum das so ist.«
»Das ist Zufall, aber trotzdem schön. Und ich habe ja bald auch keine Erkältung mehr.«
»Wunderbar. Und liegst du denn im Bett?«
»Ja, schon den ganzen Tag. Zum ersten Mal seit Kindertagen, glaube ich. Weißt du, was ich anhabe? Ein Flanellnachthemd von meiner Großmutter.«
»Wow, sexy.«
»Ja, nicht?«
»Ich komme vorbei.«
»Tja, diese Bettliegerei macht mich völlig – ach, ich weiß auch nicht. Wär gar nicht schlecht, wenn du hier neben mir liegen würdest. Aber ich bin total verschwitzt.«
»Dann duschst du eben.«
»Nein, ich muss noch eine
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