Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Innersten unausgesprochen von ihm dachte. Die Seminarleiterin mit einem Doppelnamen, die er für sich nur Leutheusser-Schnarrenberger nannte, hatte ihn ermahnt, er könne sich die Ironie in seiner Darstellung sparen. Dann der Auftrag: Spielen Sie jetzt mal den Chef! Er hatte seine Performance ganz gut gefunden. Aber Leutheusser-Schnarrenberger war empört: Erst Ironie und dann Zynismus. Er müsse viel an sich arbeiten. Aber deshalb sei man ja zusammengekommen, um die Negativspirale zu verlassen, in der manche gefangen seien. Herrn Bernhardt lade sie heute Abend zu einem Einzelgespräch ein, was er bitte, drei Ausrufezeichen, nicht als Disziplinierungsmaßnahme missverstehen möge. Das abendliche Gespräch hatte als Belehrung begonnen, nach einiger Zeit jedoch eine überraschende Wende genommen: Leutheusser-Schnarrenberger gestand ihm, dass sie an ihrem Beruf auch nicht alles gut, manches sogar fragwürdig finde. Das Wort »Sozialingenieur« und »Flickschusterei« war gefallen. Bei so viel Problembewusstsein und Selbstkritik wollte Bernhardt nicht kleinlich sein und gab zu, dass er sicher intensiv an sich arbeiten müsse, Motto: nicht in Routine versinken. Man schied in gegenseitigem Respekt.
»…Überstundenliste, dass du nun gerade davon anfängst. Dann hätte ich ja schon längst ein Jahr Urlaub am Stück, mir geht’s um die Sache!«
»Natürlich, du hast recht, klar.«
»Also, das Rechtsanwaltspaar weiß von nichts. Bauen sich gerade eine Kanzlei auf, kommen eigentlich nur zum Schlafen nach Hause. Die Nanny ist aus Portugal, spricht nur wenig Deutsch, hat die Lechner nur ab und an im Fahrstuhl getroffen. Das Ärztepaar, dritter Stock rechts, also gegenüber vom Juristenpaar, kennt die Lechner von den gemeinsamen Fahrten im Fahrstuhl, war wohl ziemlich beeindruckt von ihr, wollte sie immer mal ansprechen, weil sie sie in Wien auf der Bühne gesehen hatten, nackt. Kann das denn sein? Tatsächlich? Na ja, haben aber den Mut nicht aufgebracht. Ansonsten berichten alle übereinstimmend, dass die Lechner eine stille und unauffällige Mieterin war, bis auf die laute Musik gestern, aber da war sie ja wahrscheinlich schon tot. Oder kurz davor. Nur einen habe ich nicht angetroffen: den Komponisten von gegenüber, der ist nicht da, oder er öffnet nicht. Den müssen wir ins Visier nehmen.«
»Stimmt, klasse Arbeit, Krebitz. Aber für dich war ja dann gar nichts mehr zu tun, Cellarius?«
Krebitz signalisierte mit einem Blick zu Bernhardt: Ja, siehste!
»Na ja«, antwortete Cellarius, »die Einzige, die Kontakt mit der Lechner hatte, war die Physiotherapeutin im Erdgeschoss. Ich war bei ihr, aber die hat Patienten am Fließband, sie hat erst nach Ende ihrer Sprechstunde Zeit, so gegen 18 Uhr. Dann habe ich mit Fröhlich gesprochen, der gerade erst abgezogen ist. Er sagt, wir sollen uns von der Spurensicherung nicht zu viel erhoffen: Die Wohnung ist zwar nicht clean, es gibt fremde Fingerabdrücke, Haare, die nicht von der Lechner stammen, aber sonst nichts Auffälliges. Handy hab ich schon abgegeben. Katia überprüft das. Dann habe ich mich um eine Funkzellenabfrage gekümmert: Wer war hier in der Gegend in den letzten Tagen und hat telefoniert, gibt’s da Auffälligkeiten und so weiter. Aber das dauert, diese ganzen Telefongesellschaften mit ihren blöden Flatrates rücken ihre Daten nur auf richterlichen Beschluss raus. Ich hab schon mit Freudenreich telefoniert, damit der das Ganze ein bisschen beschleunigt. Da ist er ja gut drin. Ist halt ein riesiger bürokratischer Aufwand für eine Funkzellenabfrage, müssen wir Geduld haben.«
Bernhardt seufzte. Die Mühen der Ebene, schrecklich. Aber Cellarius war noch nicht fertig.
»In einer Mappe waren ein paar Verträge. Nichts Spektakuläres, scheint mir. Ein Vertrag mit dem Burgtheater, der ist vor einem halben Jahr einvernehmlich gelöst worden. Und ein Vertrag mit dem Berliner Theater, das ist aber nur ein Vertrag für zwei Stücke.«
»Zwei Stücke?«
»Na ja, sie sollte in Amphitryon von Kleist spielen und in einem neuen Stück von Elfriede Jelinek.«
»Wären wir reingegangen, oder?«
»Eher nicht, würde ich mal sagen. Und ob das jetzt noch aufgeführt wird, ohne sie, keine Ahnung.«
»War das jetzt alles?«
»Nein, nicht ganz. Es gibt ein paar Bücherstapel auf dem Boden. Sollten wir durchforsten. Vielleicht liegen Notizzettel drin, oder sie hat irgendwas reingeschrieben.«
Bernhardt seufzte. »Krebitz – nimmst du dir die Bücher mal
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