Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
erschwert das Leben Ihrer Kollegen. – Motzko? Alles klar mit Ihnen?«
Sie hielt ihm ein Taschentuch hin, er nahm es und wischte sich damit den Mund ab.
»Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, so etwas Grausliches hab ich noch nie gesehen.«
»Ist ja gut, sehr verständlich.« Anna blickte zweifelnd auf ihre Fußstapfen, die fast schon wieder verschwunden waren. In spätestens zehn Minuten würde man sie mit bloßem Auge nicht mehr erkennen.
Sie wandte sich wieder an Hintermeier. »Wer hat den Leichnam gefunden?«
»Ein Gleisbauarbeiter. Reiner Zufall, dass der hier unterwegs war. Er sollte den Abschnitt kontrollieren, weil einer von den Zugführern ein seltsames Geräusch gehört hat.«
»Und wo ist dieser Gleisbauarbeiter?«
»Der hat einen ziemlichen Schock erlitten. Er sitzt da hinten im Büro.«
Fünf Minuten später saßen Anna Habel und Helmut Motzko vor einer Tasse heißem schwarzen Kaffee in einem schmucklosen Containerbüro der Österreichischen Bundesbahnen. Ihnen gegenüber ein kleiner Mann mit struppigen grauen Haaren und zerfurchtem Gesicht. Seine dick wattierte, orangefarbene Jacke hatte er über die Stuhllehne geworfen, um seine klobigen Stiefel hatte sich eine kleine Pfütze gebildet. Anna blickte auf den Ausweis, der vor ihr auf dem Tisch lag. Mehmet Özemir, 58 Jahre, geboren in Ankara.
»Zwanzig Jahre ich arbeiten für Bahn, und nie was passiert. Nie auch nur toter Hund! Und jetzt das. Nie ich werde vergessen diese Frau ohne sein Kopf.«
»Wie haben Sie denn den Körper gefunden?«
»Ich bin gegangen zwischen Gleisen. Wurde geschickt von Chef, weil sollte schauen. War komisch Geräusch, sagt Chef. Ich sehe da liegen, glaube, es ist Tier. Großes Hund oder so. Aber war Mensch. Ohne Kopf.«
»Wann war das?«
»Vor halbe Stunde, ich glaube.«
»Fahren auf dem Gleis viele Züge?«
»Ja, ist wichtiges Rangiergleis. Fahren viel immer hin und her.«
»Gut, vielen Dank. Brauchen Sie einen Arzt?«
Der Vorgesetzte, der sich bisher schweigend abseitsgehalten hatte, ging einen Schritt auf Özemir zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Darum kümmern wir uns schon. Wir bringen ihn gleich zum Betriebsarzt.«
Anna wandte sich an ihn: »Ich brauche die Liste der Zugführer, die heute, sagen wir in den letzten drei Stunden, auf diesem Gleis gefahren sind. Lässt sich das organisieren?«
»Natürlich. Das dauert nur ein bisschen, ich muss mir die Dienstpläne kommen lassen.«
»Ja, bitte tun Sie das.«
Inzwischen war die Frau in einen schwarzen Plastiksarg gelegt worden, die Kollegen von der Spurensicherung knieten missmutig im Schnee und versuchten zwischen den Gleisen irgendwelches Material zu finden. Wolfgang Holzer wedelte triumphierend mit einer Plastiktüte, als er Anna sah. »Das war das Einzige, was sie bei sich trug. Kein Handy, kein Ausweis, kein Schlüssel, kein Geld.«
»Und was ist das?«
»Theaterkarten. Josefstadt. Traumnovelle. Allerdings drei Monate alt.«
»Und was soll ich damit?«
»Keine Ahnung, du bist doch die Chefinspektorin. Ich bin nur der Schnüffler. Die Karten waren übrigens durch ein Loch in der Manteltasche ins Futter gerutscht. Zufall, dass wir die gefunden haben.«
»Na gut, gib her. Vielleicht finden wir was raus. Bringt sie gleich zum Schima, das wird wohl schwierig mit der Personenbeschreibung.« Mit Schaudern dachte sie an den Kopf, der jetzt lose im Plastiksarg lag.
Im Präsidium gingen sie zuerst einmal die Vermisstenkartei durch, doch da sie so gut wie keine Anhaltspunkte hatten, waren sie ziemlich ratlos.
»Also, nach der Kleidung zu urteilen war sie weder Prostituierte noch obdachlos. Teurer Mantel, schicke Stiefel.« Anna scrollte gedankenverloren durch die Fotos der vermissten Frauen. »Das ist furchtbar. Nicht einmal das Alter kann man schätzen, so ohne Kopf. Diesmal müssen wir wirklich auf den Schima warten.«
Die Tür sprang auf, und ihr Vorgesetzter, Hofrat Hromada, betrat mit großer Geste das kleine Büro. »Was haben wir, Frau Kollegin?«
»Eine Leiche, Herr Hofrat. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Ja, das weiß ich auch. Ich hab Sie schließlich hingeschickt. Was noch?«
»Eine Leiche ohne Kopf, der Schima ist schon dran. Sie hatte nichts außer zwei alten Karten von der Josefstadt dabei. Wir versuchen das mal über die Theaterkasse, vielleicht hat sie die ja nicht an der Abendkasse gekauft.«
»Gute Idee. Na ja, wahrscheinlich Selbstmord. Schrecklich. Und was ist mit der toten Schauspielerin in Berlin? Zeigte sich
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