Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
bitte Ihren Namen. Werden Sie bedroht? Befinden Sie sich in Gefahr?«
»Chefinspektor Anna Habel! Nein, ich werde nicht akut bedroht und befinde mich nicht in Gefahr. Ich saß nur mehrere Stunden im Keller des Burgtheaters fest und werde hoffentlich von meinen Kollegen gesucht. Rufen Sie bitte Hofrat Hromada an.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung blieb für ein paar Sekunden still. »Gut, Frau Habel, ich kann den Anruf zurückverfolgen. Bleiben Sie, wo Sie sind, ich melde mich gleich wieder bei Ihnen.«
Eine Viertelstunde später trat Anna in die kalte Morgenluft, zwei Polizeiwagen mit rotierendem Blaulicht und ein Rettungsauto standen da, jemand legte ihr eine Decke um die Schultern und reichte ihr einen heißen Becher Tee – das alles kam ihr plötzlich völlig übertrieben vor.
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Die ersten Meldungen über Anna Habels Zustand nach der langen Nacht der Ungewissheit waren erfreulich: Körperlich sei sie unversehrt, allerdings fühle sie sich sehr erschöpft und stehe unter einem leichten Schock. Hofrat Hromada fasste es in der ihm eigenen Art zusammen: »Die Kollegin Habel ist wohl recht derangiert.«
Das konnte man so sagen. Bernhardt war mit den Wiener Kollegen Motzko und Kratochwil und einer kleinen Truppe aus dem Präsidium zum Burgtheater gefahren. Zumindest für einen kurzen Augenblick wollte er Anna sehen, ihr Mut zusprechen und sich dann Steiner vorknöpfen, der für zehn Uhr zu einem Pressegespräch ins Café Landtmann am Ring eingeladen hatte. In der kurzen Pressemitteilung, die am frühen Morgen, noch vor dem Erscheinen von Hot, verbreitet worden war, hieß es: »Dr. Steiner weist alle Vorwürfe entschieden zurück und wird mit größter Offenheit über seine geschäftlichen und politischen Aktivitäten aufklären. Über private Aspekte seines Lebens sieht er keinen Anlass zu sprechen.«
Als Bernhardt auf Anna zuging, die zusammengesunken in einem Rettungswagen saß, war er für einen Moment wirklich erschüttert. Die immer aktive, selbst im Ruhemodus noch bewegte und bewegliche Anna wirkte verstört, ihr Blick fand keinen richtigen Haltepunkt und irrte umher, der Trubel, der um sie herumwogte, schien sie zu irritieren. Ihre Haare waren fettig, und ihre Hand fühlte sich, als Bernhardt sie ergriff, eiskalt an. Er versuchte, Anna auf bewährte Art aufzumuntern.
»Ey, bin ich froh, Unkraut vergeht nicht.«
Ein kleiner Funke Lebenswille und alter Spottlust glomm dann doch in Annas Augen auf. Aber noch wirkte ihre Stimme unsicher, verletzt, klein.
»Idiot, schön, dass du da bist. Ich muss –«
»Du musst jetzt erst mal gar nichts.«
»Doch, ich muss, ich weiß gar nicht, ich verstehe gar nicht, aber ich muss –«
Der Notarzt, ganz alte Schule mit sonorer Stimme und wohlwollend autoritärer Körpersprache, der während des kurzen Wortwechsels neben Anna gestanden hatte, kniete sich nun vor ihr nieder.
»Liebe Frau Habel, nein, Sie müssen jetzt nichts. Sie müssen erst einmal aufgebaut werden, und da spritze ich Ihnen jetzt –«
»Nein, kein Beruhigungsmittel, ich brauche einen klaren Kopf.«
»Dieses Mittel wird zur Klarheit beitragen, glauben Sie’s mir, Ihre Gedanken werden langsamer fließen und sich nach und nach ordnen, Sie werden ruhiger werden und dann Schritt für Schritt in Ihr gewohntes Leben zurückkehren. Aber auf die Pirsch gehen Sie mir heute nicht mehr.«
Anna schloss ergeben die Augen und ließ sich die Spritze geben. Als sie die Augen wieder öffnete, standen Gabi Kratochwil und Helmut Motzko vor ihr wie zwei besorgte Kinder vor ihrer Mutter. Gabi Kratochwil, die Spröde, die manchmal Widerspenstige, versuchte Anna Habel zu umarmen, was in einer leicht grotesken Verhakelung endete.
»Liebe Frau Habel, das ist so schlimm…«
»Frau Kratochwil, jetzt gehen S’ aber. Ich stehe ja nicht kurz vorm Abgang. Und Herr Motzko, jetzt schaun S’ nicht wie bei einem Begräbnis. Der Arzt hat mir was ins Blut gegeben, da bin ich bald wieder bereit, und dann –«
Der Arzt hob die Hand. »Nein, nein, liebe Frau Habel, wie Sie sich das vorzustellen scheinen, geht’s natürlich nicht. Bettruhe, strenge Bettruhe, meine Liebe.«
Anna Habel versuchte, Bernhardt zuzuzwinkern, was recht kläglich wirkte. Und Bernhardt dazu brachte, in das gleiche Horn zu blasen wie der Arzt. »Völlig richtig, du ruhst dich aus, und ich werde mit Frau Kratochwil mal auf die Pirsch gehen, wie das der Doktor nennt. Und Herr Motzko wird die Ereignisse der Nacht mit dir
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