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Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
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Schlagzeile der Kleinformatigen vorstellte: Wiener Kripobeamtin im Keller der Burg verhungert. Obwohl, wahrscheinlich würde sie zuerst verdursten – wie lange konnte ein gesunder Organismus ohne Wasser durchhalten? Anna lief im Kellergang auf und ab und erinnerte sich an einen dramatischen Fall aus ihrer Kindheit, da hatten drei Vorarlberger Gendarmeriebeamte einen jungen Mann achtzehn Tage in einer Gefängniszelle vergessen, und er hatte überlebt. Anna ging damals noch in die Volksschule, aber sie hatte die Zeit-im-Bild -Berichte über den abgemagerten Mann niemals vergessen. Ihre Zunge klebte unangenehm am Gaumen, und ihre volle Blase würde sie nicht mehr lange kontrollieren können.
    Irgendwann überwand sie ihre Angst vor den kleinen Kämmerchen, pinkelte in eine Ecke, und dann suchte sie sich ein anderes mit ein paar Stühlen, die sie zu einem Lager zusammenschob. Sie erkannte die billigen Plastiksessel wieder, die, goldfarben bemalt und die Sitzfläche mit rotem verschlissenen Samt bezogen, normalerweise im Pausenfoyer des Theaters standen – und normalerweise saß man darauf, aß überteuerte Brötchen und trank warmen Prosecco. Sie stellte drei zusammen und legte sich darauf, ein modriges Stück Stoff schob sie sich als Kissen unter den Kopf.
    Anna war wohl wirklich eingeschlafen, sie erwachte von einem lauten Rascheln und brauchte mehrere Sekunden, um sich zu orientieren. Im Lichtschein der Gangbeleuchtung sah sie eine Ratte, die auf der Schwelle zu ihrem Verlies hockte und sie regungslos ansah. »Geh weg da!«, wollte Anna rufen – doch mehr als ein Krächzen brachte sie nicht zustande. Die Ratte verschwand trotzdem. Anna zwang sich aufzustehen, ihre Beine waren gefühllos, der Rücken schmerzte, als hätte jemand einen Pfahl durch ihre Wirbelsäule getrieben. Wie lange hatte sie geschlafen? Seit wann war sie hier eingesperrt? Ächzend kam sie auf die Beine und ging den unheimlichen Gang mit den kleinen Kellerräumen zurück in die Richtung, aus der sie vermutlich gekommen war. Es kostete sie große Überwindung, den hellen Raum zu verlassen, doch sie wollte noch einmal versuchen, zum Eingang ihres Gefängnisses zurückzukehren – dass hier zufällig jemand vorbeikam, war wohl eher unrealistisch. Anna fixierte die Tür zwischen dem hellen und dem dunklen Gang mit einem Stuhl, der Lichtschein half ihr, sich ein wenig zu orientieren. Ein paar Meter vor sich sah sie etwas Dunkles am Boden liegen, es bewegte sich nicht. Anna näherte sich vorsichtig und erkannte zu ihrer großen Erleichterung ihre Handtasche. Und ein paar Meter weiter war auch die Tür, durch die sie in dieses Verlies gekommen war. Anna pochte erneut heftig dagegen und rüttelte an der Klinke und – sie öffnete sich wie von selbst. Als wäre sie nie zu gewesen. Als hätte sie jederzeit da rausspazieren können. Anna Habel, Chefinspektorin bei der Wiener Mordkommission, stand regungslos im Türrahmen, presste ihre Handtasche gegen die Brust, und Tränen und Rotz liefen über ihr Gesicht. Langsam, Schritt für Schritt ging sie durch den großen Raum, sah die Drehbühne im Dämmerlicht, erkannte den Heizungsraum des alten Mannes wieder und fand schließlich eine Toilette. Sie hielt ihr Gesicht unter den warmen Wasserstrahl, trank schluckweise, taute ihre kalten Hände vorsichtig auf.
    Wie sie schließlich nach oben gekommen war, wusste sie nachher nicht mehr genau. Sie ging durch mehrere Türen und stand dann plötzlich in einem Büro. Ungläubig starrte sie auf die Ikea-Uhr an der Wand, sie zeigte zehn vor sieben. Aus einer kleinen Teeküche kam eine ältere Frau, die, als sie Anna sah, laut aufschrie und ihre Kaffeetasse fallen ließ. »Wie kommen Sie hier rein? Wer sind Sie?«
    »Ich… ich… bin Anna Habel. Polizei. Ich habe mich verlaufen. Bitte, können Sie jemanden anrufen? Die Polizei bitte.«
    Die Frau sah sie mit schreckgeweiteten Augen an und wies auf das Telefon vor ihr auf dem Schreibtisch. Wen sollte Anna anrufen? Sie konnte keine Nummer auswendig, sie hatte alle Kontakte im Handy eingespeichert, die einzige, die ihr einfiel, war die von Florian, doch das war wohl keine gute Idee. So saß sie einfach ein paar Minuten auf dem Bürostuhl, legte den Kopf in die Hände und versuchte das unkontrollierte Zittern zu unterdrücken.
    »Polizeinotruf, guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
    »Mein Name ist Habel, Anna Habel, Chefinspektor der Wiener Mordkommission. Ich… war… im Burgtheater eingesperrt.«
    »Wiederholen Sie

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