Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
lehnte sich gegen die feuchte Wand und sank nach unten. Am Boden hockend, beruhigte sie sich ein wenig. Was war schon dabei, eine Tür war zugefallen, sie saß mitten in Wien, mitten im Burgtheater, ein paar Stockwerke über ihr wurden gerade die letzten Vorbereitungen für ein Shakespeare-Stück getroffen. Was sollte passieren? Sie würde einfach hier in der Nähe der Tür bleiben und regelmäßig dagegenklopfen, jemand würde sie hören und aus dieser misslichen Lage befreien.
Irgendwann hatte Anna jegliches Zeitgefühl verloren. Seit einer Ewigkeit, schien ihr, saß sie hier in diesem Gang, ihre Stimmbänder versagten langsam den Dienst, und trotz der Winterjacke fror sie inzwischen erbärmlich. Die Zehen in den feuchten Stiefeln spürte sie kaum noch, und auch wenn es Anna davor graute, durch diese schreckliche Dunkelheit zu gehen, wusste sie, dass sie sich dringend bewegen musste, wenn sie hier nicht erfrieren wollte. Also bewegte sie sich – nachdem sie noch ein paarmal laut gegen die Tür gehämmert hatte – weg vom Eingang ihres Gefängnisses, Schritt für Schritt in dieser undurchdringbaren Dunkelheit, mit einer Hand immer an der Wand entlangtastend. Nach etwa zwanzig Metern machte der Gang einen Knick, und Anna stand wieder vor einer Metalltür. Sie tastete nach der Klinke, und – Anna schrie vor Erleichterung auf – sie gab nach. Dahinter wieder ein Gang, doch an seinem Ende konnte man erkennen, dass es heller wurde, von irgendwoher drang ein Licht in den Keller. Bald schon hatten sich ihre Augen an die diffuse Dämmerung gewöhnt. Der Gang wurde immer breiter, ein Riesentor versperrte ihr schließlich erneut den Weg, doch auch dieses war nicht versperrt. Sie ging den leicht ansteigenden Weg weiter, es wurde immer kälter – sie verspürte einen Luftzug, es roch nach Schnee. Und plötzlich war der Gang zu Ende, über ihr eine zehn Meter hohe Kuppel, durch schmale Schlitze konnte sie den Nachthimmel erkennen, doch nirgendwo war eine Leiter zu sehen, auch sonst keine Möglichkeit, nach oben zu gelangen. Um warm zu werden, lief sie ein paar schnelle Runden im Kreis, dazwischen blieb sie immer wieder stehen und schrie laut um Hilfe. Keine Reaktion.
Obwohl sie den Blick ins Freie tröstlich fand, beschloss Anna, sich doch wieder ins Innere des Kellers zurückzuziehen, inzwischen fühlte sie sich schwer unterkühlt. Als sich der Rückweg plötzlich gabelte, verfluchte sie ihren schlechten Orientierungssinn. Von wo war sie gekommen? Sie probierte rechts und trat in einen kleinen Nebengang. Ihre Finger tasteten über den abgeblätterten Verputz, und ihr Herz setzte für einen kurzen Moment aus, als sie einen Lichtschalter spürte. »O mein Gott, Jesus und Maria, ich werde nie wieder fluchen, wenn der funktioniert«, sie sprach es laut aus und erschrak vom Widerhall ihrer Stimme. Eine Neonröhre flackerte ein paarmal, um dann den schmalen Raum in grellweißes Licht zu tauchen. Anna blieb direkt unter der Lichtquelle stehen und merkte plötzlich, wie ihr die Tränen über die Wangen flossen. Wie viele Stunden mochte sie hier schon eingesperrt sein? Wann kam endlich jemand in diesen Keller, diesen gottverdammten… Sie wollte doch nicht mehr fluchen. Hatte hier überhaupt jemand was zu tun, oder würde sie verhungern und verdursten? Der erleuchtete Teil des Gangs führte noch weiter rein ins Innere des Theaters. Eng und geschwungen und die Wände aus Stein – das Ganze sah eher wie die Ruine einer mittelalterlichen Burg aus als wie der Keller eines Theaters aus dem neunzehnten Jahrhundert. Immer wieder war die Wand unterbrochen durch Nischen, hinter denen sich kleine Räume versteckten. Die Holztüren dazu standen offen, und die meisten davon waren mit alten Möbeln vollgestellt. Kleine Verliese, schien es ihr. Sie wagte sich in keinen der Räume, obwohl es da drinnen vermutlich wärmer war. Was, wenn doch jemand hier unten war und sie in einem der Kerker einschloss? Sie hatte inzwischen komplett die Orientierung verloren, keine Ahnung, wo unterhalb des Theaters sie sich befand. Immer wieder hörte sie Geräusche. Einmal war ihr, als hörte sie eine Tür ins Schloss fallen. Hatte sie am Anfang noch geglaubt, dass sie hier versehentlich festsaß, war sie sich mittlerweile sicher, dass ihr jemand übel mitspielen wollte und sie in diesen Katakomben hilflos in der Falle saß. Durst quälte sie, ihre eiskalten Füße schmerzten, und außerdem musste sie dringend aufs Klo. Fast musste sie lachen, als sie sich die
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