Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
Vom Netzwerk:
gekommen ist, sondern dass ihre Konstruktion unterbrochen wurde, dass die Hand des heiligen Erbauers vorübergehend erstarrt ist und dass die skelettartigen Formen von Verheißung, Hoffnung und Reichtum zeugen statt von Zerstörung und Vernichtung.
    Aber es gibt auch andere Plätze, ehemalige Oasen für Reisende, Zusammenballungen von Tankstellen, Fastfoodrestaurants und Motels. Die Fenster sind unbeschädigt, der Strom ist nicht ausgefallen, die Glasschiebetüren funktionieren noch, und aus den Lautsprechern schallt blechern und verzerrt Musik aus der Konserve. Geisterstädte. Vollkommen abgeschnitten von der Welt und so tot, dass nicht einmal die Toten dort wohnen wollen.
    Wilson und seine Leute behandeln diese Städte mit stillem Respekt, als würden sie auf Zehenspitzen durch einen Friedhof schleichen. Etwas Unheimliches und Bedrückendes liegt in dieser vollkommenen Verlassenheit. Gespenstisch, dass Verwesung und Verfall nicht den Weg durch die weite Wüste hierhergefunden haben. Jeder Scherbenhaufen ist besser als dieses Zerrbild von blühendem Leben.

12
    A ls die Sonne den höchsten Punkt am Himmel einnimmt, erreichen sie Longview in Texas. Trocken und ätzend brennt es herunter, und Temple hat das Gefühl, als würde ihr das Wetter die Haut blank scheuern.
    Das Zentrum der Stadt ist verbarrikadiert und wird von Bewaffneten bewacht, die aber winken, als sie den Zug bemerken. Jemand fährt den Linienbus weg, mit dem sie die Gleise blockiert haben. Sobald der Zug innerhalb der Absperrung ist, schiebt sich der Bus wieder über die Schienen.
    Drei mal drei, erläutert Wilson. Neun Häuserblocks haben sie hier gesichert. Die größte Festung östlich von Dallas. Hier musst du aussteigen, wenn du immer noch nach Süden willst.
    Auf der Straße spielen Kinder, und als sie die Eisenbahn sehen, lassen sie ihre Fahrräder liegen und kommen angerannt. Mütter rufen ihnen nach, nicht zu nahe hinzugehen. Menschen jeden Alters treten aus den Türen und Läden, um sich um den Zug zu scharen, der kreischend zum Stehen kommt.
    Wilsons Männer haben hier weibliche Bekannte, und sie finden sich in der Menge. In Paaren ziehen sie davon, einige der Frauen haben sich gackernd bei ihrem Liebsten eingehängt und ernten einen Klaps auf den hochgereckten Hintern, als wäre dieser ein Getreidesack.
    Andere Bewohner helfen den Flüchtlingen aus den Güterwaggons, und Wilson beratschlagt mit einem Mann und einer Frau, den Stadtoberen, wer von den Heimatlosen bleiben und wer nach Dallas gebracht werden soll.
    Als alle Passagiere ausgestiegen sind, benutzen die Kinder den Zug als Riesenrequisite für ihr Cowboy-und-Indianer-Spiel.
    Ich such mir was Kühles zu trinken, erklärt Lee. Willst du auch was?
    Ich glaube, Maury und ich, wir sehen uns erst mal ein bisschen um.
    In Ordnung. Aber schau, dass du keinem an die Gurgel gehst, solange wir hier sind, okay?
    Unschlüssig bleibt sie auf der Straße stehen. Ihr Platz, das hat sich immer wieder erwiesen, ist dort draußen bei den Fleischsäcken in der rauen Wildnis und nicht hier innerhalb der Grenzen eines niedlichen kleinen Lebkuchendorfs. Sie hat es schon öfter probiert, und es hat nie geklappt. Auch jetzt hätte sie am liebsten ihr Gurkhamesser in der Hand – ihre Finger sehnen sich förmlich danach –, aber sie lässt es in der Scheide, um keine Kinder zu erschrecken.
    Nacheinander versucht sie es damit, die Arme vor der Brust zu verschränken, die Hände hinter dem Rücken ineinanderzupressen oder sie in die Hosentaschen zu stopfen, aber nichts passt so richtig, und sie wünscht sich, irgendwo da draußen zu sein, nur sie und Maury, wo sie weiß, was sie tun muss, egal, ob es darum geht, Feuer zu machen, sich vor Verfolgern zu verstecken oder Fleischsäcke abzuschlachten.
    Nach einer Weile tritt ein Junge auf sie zu. Er ist ein wenig größer als sie und trägt ein Karohemd, säuberlich in die Jeans gesteckt, und einen Gürtel aus geflochtenen Lederstreifen mit einer großen Silberschnalle, die ein Pferd zeigt.
    Ich heiße Dirk.
    Hallo Dirk.
    Willst du mir nicht deinen Namen verraten?
    Sarah M… Temple, meine ich.
    Meinst du? Du weißt es nicht?
    Es fällt ihr nicht leicht, doch sie will ausnahmsweise bei der Wahrheit bleiben, weil ihr die Leute hier so vertrauensvoll erscheinen. Temple, das is schon richtig.
    Wo kommst du her?
    Überall und nirgends.
    Ich meine, wo bist du aufgewachsen?
    Vor allem in Tennessee.
    Ich weiß, wo das liegt. Das heißt, ich hab’s auf einer Karte in der

Weitere Kostenlose Bücher