Nach dem Ende
einem Menschen in ein Monster verwandelt hat. Von einem Jungen namens Malcolm, den sie auf dem Gewissen hat – wie es passiert ist zu Füßen eines Eisenriesen, weil Gott sie an ihre Kleinheit erinnern wollte. Wie sie plötzlich die Lust packte, das Fabriklager hinter dem Metallhünen zu erkunden, um dort vielleicht irgendwelche verborgenen Wunderdinge zu entdecken, und dem kleinen Malcolm befahl, draußen zu warten, falls drinnen eine Horde Fleischsäcke lauern sollte. Dass sie eigentlich bloß kurz hineinschauen und gleich wieder rauskommen wollte, wenn alles sicher war. Doch dann fand sie am Ende einer Eisentreppe ein kleines Büro, von dem aus man das ganze Lager überblicken konnte, und in dem Büro hingen Pläne an den Wänden, an allen Wänden, in einem Blau, wie es ihr noch nie begegnet war. Sie spricht davon, wie magisch diese Pläne waren, diese weißen Linien wie Kreidefasern auf dem Blau, die Zeichen und Zahlen und Pfeile wie Symbole für die Größe der Menschheit, die dargestellten Gegenstände wie rätselhafte Skizzen versunkener Artefakte, deren Entschlüsselung zukünftigen Generationen vorbehalten ist. Und sie waren ein Wunder, diese auf Papier gebannten Zeugnisse einer sterblichen Fantasie, einer visionären Kraft, die ihren müden Kopf weit überstieg, Beweise für den Glauben an die Fähigkeit menschlicher Genialität, etwas aus dem Nichts zu formen und dann zurückzutreten und zu sagen, ja, das habe ich geschaffen, dieses Ding, das vorher in der Geschichte der Welt noch nicht existiert hat.
Und sie erzählt, dass ihr Verstand sich ganz in diese Vorstellungen vertiefte, dass sie sich verirrte und gar nicht bemerkte, wie schwach und rot das Licht schon durch die schmutzigen Fenster fiel und wie viel Zeit vergangen war. Und dass sie, als sie wieder zu sich kam, voller Panik hinauslief und an der Stelle, wo Malcolm gewartet hatte, auf eine ganze Traube von Fleischsäcken stieß, fünfzehn oder zwanzig von ihnen, die auf ihn zusteuerten – und einer war schon bei ihm. Hatte ihn schon erwischt. Hatte Malcolm erwischt, den Jungen, der ihrer Obhut anvertraut war. Von überallher mussten sie aus irgendwelchen Löchern gekrochen sein. Und sie hatte seine Schreie nicht gehört, weil sie nur noch auf das Pulsieren ihres verhexten Gehirns gelauscht hatte.
Und dann brachte sie das Verderben über sie, über die Schaben, schlachtete sie ab, eine nach der anderen, kreuz und quer, ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Vorsicht. Und auf einmal fing plötzlich mitten im Getümmel ihr Blut zu rasen an – es kochte und hämmerte wie eine Trommel in ihren Adern, zeigte ihr überall nur noch den Abgrund der Hölle, machte sie zum Ungeheuer, trieb sie in die Sünde der Eitelkeit, der Gewissheit, unsterblich zu sein wie der eiserne Riese. Sie erzählt von dem schwirrenden Gurkhamesser und von der niederträchtigen Freude, die ihr das dumpfe Klatschen bereitete, wenn es sich in einen Schädel grub, von dem ruchlosen Wahn, dass ihr tödlicher Zorn gerecht sei und sie ein Schwert des Lichts führe, von der Leidenschaft, von der tiefen Lust, die sie trieb, nach links und rechts zu stoßen, als sehnte sich ihr Körper nach dem Tod, als hätte sie sich in eine von ihnen verwandelt, als wollte sie nun selbst den schwarzen Tod und die Seelen der Lebenden verschlingen. Das ist der Dämon, der in ihr haust.
Als es vorbei war und die Kleider völlig durchweicht von Blut und Galle und verschmiert von grauem Gewebe an ihr hingen, wischte sie sich die Eingeweide vom Gesicht, die sie den Toten aus dem Leib gerissen hatte – Zeichen ihres eigenen mörderischen Kannibalismus –, und erst da war sie imstande, die Augen ganz aufzuschlagen und in das stechende, strafende Orange des schwindenden Tages zu blicken.
Und es war zu spät. Der kleine Malcolm war vom Hals bis zum Nabel aufgerissen, und es war, als hätte sie es mit ihren eigenen grausamen Klauen getan.
Sie erzählt der Alten, wie sie den Jungen hielt, wie sie ihn wiegte und mit blutbefleckten Fingern versuchte, den klaffenden Schlitz an seinem Oberkörper zu schließen. Wie sie so lange mit dem Jungen in den Armen dasaß, bis der Himmel seine Tränen herabsandte, um ihn zu taufen und zu waschen. Wie sie mit bloßen Händen im Schlamm zu Füßen des eisernen Riesen das Grab aushob und ihn hineinlegte, wie sie ihm mit dem Gurkhamesser den Kopf abtrennte, damit er sich auf dem Weg zum Himmel nicht verirrte und auf die Erde zurückkehrte wie so viele vor ihm – und dass ihr diese
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