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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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wie Herbstlaub auf die Straßen gelegt haben, dicke, graue Exkremente, klebrig und brodelnd, sogar ein Packen gelber Kunstblumen, der wie ein alptraumhafter Brautstrauß in der Brühe treibt.
    Temple späht hinauf zu einem Büroturm. Die geborstenen Fenster hinterlassen schwarze Lücken wie die fehlenden Zähne im Grinsen eines alten Mannes. Aus einem strömt ein kleiner Wasserfall, und sie vermutet, dass das Dach des Gebäudes eingestürzt ist. Sie malt sich aus, wie das Regenwasser durch das Hochhaus fließt, die Treppen hinunter, durch die mit Teppichböden bedeckten Großraumbüros, bis es schließlich zu der zertrümmerten Glasscheibe gelangt. Das würde sie sich gern aus der Nähe anschauen. Ja, sie würde gern eins von diesen zerstörten Gebäuden erforschen. Aber im Moment muss sie sich mit anderen Dingen herumschlagen.
    Ihr Blick wandert zu Maury auf dem Beifahrersitz. Du schaffst es wirklich, dass man nich zu seinem eigenen Leben kommt. Is dir das eigentlich klar? Nix als Scherereien hat man mit dir.
    Ob er irgendwas verstanden hat, ist nicht zu erkennen. Er ist fasziniert davon, wie der Regen um die ruhende Stadt kreist, von den Formen, die das Wasser bildet, wenn es eine Richtung findet.
    Vielleicht können dich Jeb und Jeannie Duchamp dazu bringen, Brombeeren zu essen, was meinst du?
    Seine Augen zwinkern langsam, der Mund steht ihm ein wenig offen.
    Vielleicht wissen sie, was sie mit dir anfangen sollen, ich bin jedenfalls mit meiner Weisheit am Ende. Deine Granny muss wirklich unendlich viel Geduld gehabt haben. Bin froh, dass wir sie richtig beerdigt haben. Worauf kaust du denn da rum – auf deinen leckeren Gedanken?
    Sein Kiefer bewegt sich in kleinen, trägen Kreisen wie der einer Kuh.
    Sie wendet sich wieder der überfluteten Straße vor ihr zu. Jedenfalls halt ich hier vielleicht auf dem Rückweg nochmal an und geb meinem Forscherdrang nach, wenn ich dich abgeliefert hab. Sie erreicht einen großen Bau, der aussieht wie eine Oper oder etwas in der Richtung, und die Straßen verknäueln sich immer mehr zu einem verwirrenden Labyrinth. Sie biegt einmal ab und noch einmal, ohne Gelegenheit zum Nachdenken. Sie muss in Bewegung bleiben, damit sich die Schaben nicht an einer Stelle zusammenrotten können.
    Der Regen prasselt heftig herab, und sie hat keine Sonne, an der sie sich orientieren kann. Manche Häuser passiert sie zwei- oder sogar dreimal, und sie hält angestrengt Ausschau nach Schildern mit der Nummer 59. Vor einer großen Kreuzung kann sie sich nicht entscheiden, welche Straße sie nehmen soll. An einer Hauswand entdeckt sie eine Botschaft, die ein anderer Reisender in stumpfem Rot hingemalt hat. Ein Pfeil zeigt in eine Richtung, begleitet von mannshohen Buchstaben:
    SICHERE STRASSE
    Hast du eine Ahnung, was das bedeutet, Maury? Warum können die Leute bloß nich mit Bildern schreiben? Ein Totenschädel oder ein frohes Gesicht oder so. Dieses Alphabet hilft mir einfach nich weiter.
    Ob Warnung oder Aufforderung, ihr gefällt dieser Schriftzug nicht, also entscheidet sie sich für eine andere Straße und folgt der geraden, regennassen Fahrbahn. Zu beiden Seiten ragt die trostlose Stadt auf und duldet es, dass Temple durch sie kriecht wie eine Ameise. Schließlich bemerkt sie Wegweiser mit der Zahl 59, denen sie folgt, bis sie auf den Highway nach Süden gelangt.
    Sie ist nicht die erste Reisende, die sich auf der Suche nach einer sicheren Durchfahrt von einem Ende dieses Labyrinths zum anderen verirrt hat. Da die Stadt zu weit im Süden lag, konnten die Einwohner dem Ansturm der Toten nicht standhalten – sie flohen in andere Orte und ließen nur eine vergessene Ruinenlandschaft zurück. Einzelne Gruppen versuchten, die Stellung zu halten, aber sie wurden überrannt. Einmal ließ sich eine Bande von zwanzig Plünderern in einem alten Kino im Herzen der Stadt nieder. Sie malten Hinweise auf Hausmauern, um Reisende in Sackgassen zu locken, wo sie von den Plünderern ausgeraubt und dann dem neutralen Heer der herumschwärmenden Schaben überlassen wurden.
    Wenn man diesen Hinweisen folgt, stößt man auf Friedhöfe verwitterter Skelette, die ganz oder in Stücken aus Autos hängen oder einen Gully verstopfen, so dass das Regenwasser nicht abfließen kann, einige von ihnen erstarrt in einer jämmerlichen Fluchtbewegung, die verblichenen Fingerknochen noch immer um die Klinken vergitterter Ladentüren gekrallt, obwohl ihre untere Körperhälfte schon längst verzehrt wurde.
    Wer sich jetzt an

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