Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Wölfe, die sich lauernd umkreisten. Ich war noch jung, um die acht Jahre, und Beck kam mir damals noch wie ein Riese vor, wie ein starrköpfiger, zorniger Gott, der seine Wut kaum im Zaum halten konnte. Es ging hin und her, durch das ganze Haus. Christa, eine stämmige junge Frau, hatte Zornesflecken im Gesicht.
    »Du hast zwei Menschen umgebracht, Christa. Wann siehst du den Tatsachen endlich ins Auge?«
    »Umgebracht? Umgebracht?« Ihre Stimme schrillte mir in den Ohren, wie Krallen auf Glas. »Und was ist mit mir? Sieh mich doch an. Mein Leben ist vorbei.«
    »Ist es nicht«, schrie Beck zurück. »Du atmest doch noch, oder? Und dein Herz schlägt auch noch. Was man von deinen beiden Opfern leider nicht behaupten kann.«
    Ich weiß noch, wie Christas anklagendes Keifen mich zusammenzucken ließ - ein kehliger, kaum verständlicher Schrei. »Das ist doch kein Leben!«
    Beck brüllte etwas von Egoismus und Verantwortung, und sie schleuderte ihm als Antwort eine derartige Salve von Beschimpfungen entgegen, dass ich wie gelähmt war; solche Worte hatte ich noch nie zuvor gehört.
    »Und was ist mit dem Typ im Keller?«, rief Beck. Von meinem Beobachtungspunkt im Flur aus konnte ich nur seinen Rücken sehen. »Du hast ihn gebissen, Christa. Du hast sein Leben ruiniert. Und du hast zwei Menschen umgebracht. Nur weil sie dich schief angeguckt haben. Ich würde gern mal etwas Reue dafür sehen. Verdammt, du musst mir einfach garantieren, dass das nicht noch einmal passiert.«
    »Warum sollte ich dir irgendwas garantieren? Was hast du denn jemals für mich getan?« Christa bleckte die Zähne. Ihre Schultern zuckten und krümmten sich. »Und ihr nennt euch Rudel? Ihr seid doch nichts als eine Rotte. Abschaum. Irgendein widerwärtiger Kult. Ich mache, was ich will! Ich lebe dieses verkorkste Leben, wie es mir passt!«
    Becks Stimme war ruhig - beängstigend ruhig. In diesem Moment hatte ich Mitleid mit Christa, denn wenn Beck plötzlich nicht mehr wütend klang, war es schlimmer denn je. »Versprich mir, dass das nie wieder vorkommt.«
    Da blickte sie direkt zu mir - nein, nicht zu mir. Durch mich hindurch. Sie schien meilenweit entfernt zu sein mit ihren Gedanken, irgendwo, wo die Wirklichkeit ihres verhassten Körpers sie nicht einholen konnte. Ich sah, wie mitten auf ihrer Stirn eine Ader hervortrat und ihre Fingernägel zu Klauen wurden. »Ich bin euch gar nichts schuldig. Geht zum Teufel.«
    »Raus aus meinem Haus«, sagte Beck, ganz ruhig.
    Und sie ging. Sie knallte die Glastür so hart hinter sich zu, dass das Geschirr in den Küchenschränken klirrte. Ein paar Augenblicke später hörte ich, wie die Tür erneut geöffnet und wieder geschlossen wurde, viel leiser diesmal, als Beck ihr hinterherging.
    Es war kalt damals, und ich erinnere mich, dass ich Angst hatte, Beck könnte sich endgültig für den Winter verwandeln und mich allein im Haus zurücklassen. Diese Angst war so stark, dass ich aus dem Flur ins Wohnzimmer schlich - da hörte ich einen lauten Knall.
    Beck kam wieder herein, zitternd vor Kälte und durch die drohende Verwandlung; behutsam legte er ein Gewehr auf die Arbeitsplatte, als wäre es aus Glas. Dann bemerkte er mich, wie ich mitten im Wohnzimmer stand, die Arme vor der Brust verschränkt, die Finger um die Oberarme geklammert.
    Ich weiß noch genau, wie seine Stimme klang, als er sagte: »Fass das hier nicht an, Sam.« Rau. Hohl. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und blieb den Rest des Tages über dort, den Kopf in den Armen vergraben. Als es dunkel wurde, gingen Ulrik und er nach draußen, sie sprachen leise, mit gedämpften Stimmen; vom Fenster aus sah ich, wie Ulrik eine Schaufel aus der Garage holte.
    Und hier lag ich nun in Grace' Bett und irgendwo dort draußen im Wald war Jack. Zornige Menschen gaben einfach keine guten Werwölfe ab.
    Während Grace in der Schule war, war ich zu Becks Haus gefahren. Die Auffahrt war leer, die Fenster dunkel; ich hatte nicht den Mut, hineinzugehen und zu sehen, wie lange dort schon alles so verlassen war. Wenn Beck nicht mehr da war, um für die Sicherheit des Rudels zu sorgen, wer sollte sich dann nur um Jack kümmern?
    Ein unwillkommenes Gefühl der Verantwortung keimte in meinem Inneren auf. Beck hatte ein Handy, aber ich konnte mich einfach nicht an die Nummer erinnern, wie sehr ich auch in meinem Gedächtnis wühlte. Ich drückte mein Gesicht ins Kissen und betete, dass Jack niemanden beißen würde, denn wenn er zu einem Problem würde - davon war

Weitere Kostenlose Bücher