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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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schweißgebadet, den Geschmack von Blut im Mund. Ich rollte ein Stück zur Seite, weg von Grace - ich fürchtete, dass mein hämmernder Herzschlag sie wecken würde -, und leckte mir über die blutigen Lippen. Ich hatte mir im Schlaf auf die Zunge gebissen.
    Es war so leicht, die primitive Gewalt, die in meiner Welt herrschte, zu vergessen, wenn ich ein Mensch war und sicher in Grace' Bett lag. Es war so leicht, uns mit ihren Augen zu sehen: Waldgeister, mystisch und still. Und wenn wir einfach nur Wölfe gewesen wären, hätte sie damit wahrscheinlich auch gar nicht so falsch gelegen. Normale Wölfe waren keine Bedrohung. Aber wir waren eben keine normalen Wölfe.
    Der Traum flüsterte mir zu, dass ich die Zeichen nicht erkannte. Die Zeichen, die mir bedeuten sollten, dass ich die Gewalt aus meiner Welt hinüber in Grace' brachte. Wölfe an ihrer Schule, am Haus ihrer Freundin und jetzt auch bei ihr zu Hause. Wölfe, unter deren Pelz sich ein menschliches Herz verbarg.
    Ich lag in Grace' Bett und lauschte konzentriert in die Dunkelheit. Ich glaubte, Krallen über den Holzboden der Veranda kratzen zu hören, und bildete mir sogar ein, Shelby durchs Fenster zu riechen.
    Ich wusste, dass sie hinter mir her war - hinter dem, was ich war: der Liebling von Beck, dem menschlichen Rudelführer, und auch von Paul, dem Leiter des Wolfsrudels, und somit ein potenzieller Nachfolger für beide Ränge. In unserer kleinen Welt besaß ich eine ganze Menge Macht.
    Und genau das wollte Shelby: Macht.
    Darios Hunde waren der Beweis dafür. Als ich dreizehn war und bei Beck lebte, zog unser nächster Nachbar (der ungefähr dreieinhalb Meilen entfernt wohnte) weg und verkaufte sein riesiges Anwesen an einen wohlhabenden Exzentriker namens Mr Dario. Ich fand Mr Dario selbst eigentlich nie sonderlich eindrucksvoll. Er hatte so einen eigentümlichen Geruch an sich, als wäre er bereits gestorben und dann konserviert worden. Wenn wir bei ihm waren, verbrachte er die meiste Zeit damit, uns entweder die komplizierte Alarmanlage zu erklären, mit der er seinen Antiquitätenhandel (»Er meint Drogen«, klärte Beck mich später auf) schützen wollte, oder aber er schwärmte uns von seinen Wachhunden vor, die er draußen auf dem Grundstück laufen ließ, wenn er nicht zu Hause war.
    Einmal zeigte er uns die Hunde. Sie sahen aus wie zum Leben erwachte gotische Wasserspeier - geifernde Fratzen und bleiche, faltige Haut. Irgendeine südamerikanische Rasse, die zum Hüten von Rinderherden gezüchtet wurde, wie Mr Dario uns verkündete. Man sah ihm an, wie stolz er war, als er uns erzählte, dass sie einem Menschen den Kopf abreißen und anschließend auffressen würden. Mit skeptischer Miene merkte Beck an, Mr Dario achte hoffentlich darauf, dass die Hunde nicht das Grundstück verließen. Mr Dario deutete nur auf die Metallhalsbänder, die zwei Zacken auf der Innenseite hatten (»Da kriegen die Viecher ordentlich einen gewischt«, meinte Beck später und machte eine zitternde Geste, die den Stromschlag verdeutlichen sollte), und versicherte uns, dass er nur Leuten den Kopf abreißen lasse, die sich nachts auf sein Grundstück schlichen, um seine Antiquitäten zu stehlen. Dann zeigte er uns den Netzanschlusskasten, mit dem er die Elektroschockhalsbänder der Hunde kontrollierte und sie damit auf dem Gelände hielt. Der Kasten war mit pudriger schwarzer Farbe überzogen, die dunkle Flecken an seinen Händen hinterließ.
    Niemand schien sich danach noch Gedanken über die Hunde zu machen. Ich aber war besessen von ihnen. Immer wieder stellte ich mir vor, wie sie ausbrachen und Beck oder Paul zerfleischten, einem von beiden den Kopf abrissen und ihn auffraßen. Wochenlang konnte ich nur an die Hunde denken, und eines Tages mitten im heißesten Sommer ging ich zu Beck in die Küche, wo er in kurzen Hosen und T-Shirt gerade das Fleisch für den Grill marinierte.
    »Beck?«
    Er sah nicht auf und bestrich weiter sorgfältig das Fleisch. »Was gibt's, Sam?«
    »Würdest du mir zeigen, wie ich Mr Darios Hunde töten könnte?« Beck fuhr zu mir herum und ich fügte hinzu: »Wenn ich es müsste?«
    »Das wirst du nicht müssen.«
    Ich hasste es, zu betteln, aber ich tat es trotzdem. »Bitte!«
    Beck stöhnte. »So was macht dein Magen doch gar nicht mit.« Er hatte recht - wenn ich ein Mensch war, war ich entsetzlich empfindlich, was den Anblick von Blut betraf.
    »Bitte!«
    Beck verzog das Gesicht und sagte Nein, am nächsten Tag aber brachte er ein halbes

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