Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Cohen.
»Bestimmt nicht kälter als diese Vogelbäder, die wir die ganze Zeit nehmen mussten.«
»Auch wieder wahr.«
Evan ging um die Wanne herum und lief in dem dunklen Raum auf und ab.
»Tut mir leid, die Sache vorhin«, sagte er.
Cohen schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Gedanken deswegen.«
»Ich war halt neugierig.«
»Echt wahr?«
»Ich dachte doch nicht, dass da Tausende von Ratten sind.«
Cohen durchquerte das Zimmer und leuchtete mit der Taschenlampe aus dem Fenster. Er dachte an den Gesichtsausdruck des Jungen, als sie den Parkplatz mit den toten Männern verließen.
Er drehte sich zu Evan um und sagte: »Tut mir leid, dass ich dich dazu gebracht habe, zu schießen.«
Evan antwortete nicht.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Evan nickte. »Mir geht’s gut.«
»Nur, dass du es weißt, Evan. Es gibt eine Sache in dieser Welt, über die ich mir keine Sorgen machen möchte. Und das bist du.«
Evan wollte schon etwas erwidern, als die Schritte der anderen auf der Treppe zu hören waren. Sie näherten sich durch den Flur und kamen mit Lampen, Seifenstücken, Handtüchern und Lappen ins Badezimmer. Die Letzte war Mariposa, die das Baby auf dem Arm hielt.
»Los, raus, geht mal raus«, sagte Nadine und scheuchte zusammen mit Kris die Männer aus dem Raum.
»Los, Mariposa«, sagte Kris. »Zuerst kommt das Baby dran.«
»Wo ist Brisco?«, fragte Evan.
»Er sagte, er will kein Bad nehmen«, sagte Mariposa.
»Fangt schon mal an und lasst das Wasser laufen«, sagte Cohen. »Aber zieht euch nicht aus. Ich hab eine Idee.«
Er ging mit Evan nach unten und dann nach draußen zu den Autos. Evan hielt die Taschenlampe, während Cohen die Plane hochhob, die die Ladefläche bedeckte, und den Kopf daruntersteckte. Er fand den Propangaskocher, trug ihn ins Haus und die Treppe hinauf ins Badezimmer. Er nahm die Beine vom Kocher ab, und jetzt war das Gerät klein genug, dass man es unter die Wanne schieben konnte. Cohen zog ein Feuerzeug aus der Tasche, steckte den Kocher an, und die blauen Flammen leckten am Boden der Wanne.
»Damit können wir die Kälte vertreiben«, sagte er.
»Das ist einfach genial«, sagte Nadine. »Also weiter jetzt.«
Cohen und Evan gingen wieder zu den Pick-ups und mussten sich gegen den Sturm stemmen, aber es gelang ihnen, alles herauszuholen, was sie für die Nacht brauchten. Etwas zu essen und zu trinken und einige Decken. Sie trugen alles in die Küche. Cohen ging noch ein letztes Mal hinaus und kam mit der Schrotflinte und den Patronenschachteln zurück.
Cohen, Evan und Brisco hatten ihre Mäntel ausgezogen und saßen auf dem Fußboden in der Küche. Cohen trank ein Bier. Evan und Brisco teilten sich eine Flasche Wasser und aßen aus einer Dose mit grünen Bohnen. Die Stimmen der Frauen im ersten Stock vermischten sich mit dem Geräusch des Regens und dem Tosen des Windes, der am Haus zerrte. Brisco versuchte zu rechtfertigen, warum er kein Bad nötig hatte, während Evan ihm erklären wollte, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Und dann sagte Evan. »Weißt du, dieses Mädchen mag dich.«
Cohen antwortete nicht.
»Ich sagte, dieses Mädchen mag dich.«
»Ich hab’s gehört.«
»Wusstest du das nicht?«
Cohen schüttelte den Kopf. Er versuchte, eine Bemerkung zu machen, dass sie das ja schon überall in der Schule herumerzählen würden, aber dann wurde ihm klar, dass Evan diesen Scherz überhaupt nicht verstehen konnte. Er war nie in einer Schule gewesen, wo man sich allen Tratsch auf den Fluren zuraunte. Er hatte nie heimlich Zettel ausgetauscht, war nie zum Balltraining gegangen, hatte nie die Schule am Nachmittag geschwänzt, war nie auf dem Rücksitz eines Autos mit einem Mädchen zugange gewesen und hatte nie an einer Klassenkameradin rumgefummelt. Er war nie mit einem Mädchen im Kino gewesen oder an einem lauen Frühlingsabend im Auto herumgefahren, mit heruntergekurbelten Fenstern und lauter Musik. Er war genau in diesem Alter, aber er würde so etwas nie machen, und wahrscheinlich war er auch schon längst jenseits davon. Und nun spürte Cohen, dass auch die anderen, die in diesem Haus waren, irgendwo südlich der Linie etwas verloren hatten. Es war ihm schon immer klar gewesen, dass er nicht der Einzige war, dem etwas Wertvolles abhandengekommen war, aber die Verluste der anderen standen ihm jetzt deutlicher vor Augen, denn das, was die anderen verloren hatten, hatte Augen und Gesichter, Arme und Beine gehabt.
»Ich glaube, sie ist bloß einsam. Wie
Weitere Kostenlose Bücher