Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
Vom Netzwerk:
bis auf die Vögel des Himmels; es ward alles von der Erde vertilgt; nur Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war.«
    Aggie klappte die Bibel zu, schaute in den Himmel, schloss die Augen und breitete die Arme aus. Dann wiederholte er den letzten Satz mit einem drohenden Unterton in der Stimme: »Nur Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war.«
    Er senkte die Arme, öffnete die Augen und nickte ihnen zu. Alle zusammen sagten Amen. Eine der Frauen trat aus der Reihe und ging auf den Tisch zu.
    »He!«, schnauzte Aggie sie an. »Beweg deinen Arsch wieder in die Reihe zurück.«
    Sie trat langsam einen Schritt zurück.
    »Hast du vergessen, wie das hier bei uns läuft?«, fragte er und deutete mit der Bibel auf sie.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was hast du gesagt?«, schrie er sie an.
    »Nein, hab ich nicht vergessen«, murmelte sie.
    Aggie steckte die Bibel in seine Hosentasche zurück. »Das will ich dir auch geraten haben, euch allen«, sagte er. Dann klatschte er in die Hände, sagte ein letztes Mal Amen und erlaubte ihnen zu essen.

16
    Es dauerte eine Weile, aber er fand es. Straßen waren überschwemmt, die bislang noch nicht überschwemmt worden waren. Er musste den Highway verlassen, Umwege fahren, Nebenstraßen benutzen, manchmal über Felder und Böschungen fahren, um querliegende Bäume oder Strommasten zu umrunden. Aber er fand die Himmel Road, eine einspurige Fahrbahn, die sehr oft ausgebessert worden war. Am Anfang der Straße stand ein halbverschimmeltes Schild, auf dem in alten englischen Lettern der Schriftzug CRAWFIELD PLANTATION zu lesen war. Das Schild hing an einem Zaunpfosten, der erstaunlich gerade in einer Wasserpfütze stand, die sich zu einem kleinen Teich ausgeweitet hatte.
    Er erinnerte sich an die Pflanzung aus seiner Zeit als Schuljunge, als sie Ausflüge hierher gemacht hatten. Später war er mit seinem Vater hergekommen, um Rinder oder Pferde anzusehen. Einige hundert Morgen dichter Wald und ausgedehnte Weiden. Scheunen und Stallungen und ein weißer Holzzaun, der sich entlang der Straße um das gesamte Grundstück erstreckte. Dazu gehörte ein ziemlich hohes altes Gutshaus mit vier Säulen und einer breiten Veranda vor dem Eingang, einem Balkon, der sich über die gesamte Breite der Vorderseite erstreckte, und zwei kleineren Balkonen auf der Rückseite, die zu den Schlafzimmern gehörten. Azaleen standen um das Gebäude herum und säumten den Plattenweg, der vom Eingangsportal zur Kiesauffahrt führte. Magnolien und Eichen wuchsen vor dem Haus, und in den seitlichen Höfen und weiter hinten gab es einen Innenhof mit einem gemauerten Patio und darauf zuführenden Plattenwegen, einem Brunnen aus Beton in der Mitte, Rundbögen und Säulen in den Ecken, die mit Ranken und Winden bewachsen waren, zwischen denen blühende Schwarzäugige Susannen und Heckenkirschen wucherten.
    Nichts davon war noch da. Cohen fuhr langsam die Straße entlang und schaute nach vorn, dorthin, wo seiner Erinnerung nach das prachtvolle Haus auf einer Anhöhe gestanden hatte. Von dort aus hatte es über das Land gewacht wie eine Mutter, die ihre spielenden Kinder beaufsichtigt. Nichts war mehr übrig. Das Haus war verschwunden, die Magnolien und Eichen zerborsten, und statt des einst majestätischen Anblicks waren jetzt nur noch weiße, rechteckige Container zu sehen, die Behördenvertreter den Obdachlosen mit einem Handschlag und einem dünnen Lächeln überlassen hatten. Er bremste ab und hielt an. Eine halbe Meile entfernt. Dann schaltete er den Motor ab. Der Regen ließ jetzt etwas nach, fiel nur noch sporadisch, beinahe unmerklich. Er schob die Kapuze vom Kopf und zündete sich eine Zigarette an. Die Tankuhr stand im roten Bereich, und er wusste, dass er nicht mehr sehr weit kam, egal in welcher Richtung. Offenbar hatte der sterbende Mann ihm die Wahrheit gesagt. Der Junge und das Mädchen befanden sich hier auf der Crawfield-Pflanzung. Zusammen mit anderen. Er sah, wie einige von ihnen zwischen den Trailern herumliefen. Und er erinnerte sich daran, dass niemand, egal wer es war, heutzutage ungefährlich war. Nichts war sicher und nichts war eindeutig.
    Er rauchte und dachte weiter nach. Es war wahrscheinlich mitten am Nachmittag, schwer zu sagen bei diesen Wolken, auf jeden Fall war es nicht mehr weit bis zum Einbruch der Dunkelheit. Er würde warten und dann etwas näher rangehen. Vielleicht regnete es dann stärker, und er wäre geschützt und man würde ihn nicht hören. Der Hund

Weitere Kostenlose Bücher