Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
lange an seiner Zigarette, legte den Kopf zurück, blies den Rauch aus und sagte: »Ich interessiere mich nicht für dein Recht oder mein Recht oder das Recht von sonst wem. Ich will wissen, wo der Junge und das Mädchen sind. Ich hab deinen Kumpel nicht getötet. Ein Panther hat ihn angefallen und zerfleischt. Er ist einfach verblutet. So sieht’s aus.«
Aggie seufzte. Stand auf, ging zum Feuer und sagte: »Deshalb hab ich deinen Hund erschossen, weil ich Tieren nicht traue.«
»Mein Hund hätte dir gar nichts getan. Tiere sind alle verschieden.«
»Tiere sind alle gleich. Sie sind unten.« Aggie deutete mit einer Hand zu Boden und mit der anderen nach oben. »Und wir sind oben.«
»Das klingt toll. Wirklich toll.« Cohen stützte sich auf den Händen ab, lehnte sich zurück und sah Aggie an. Der starrte ins Feuer, als würde er darauf warten, dass etwas daraus aufstieg. Dann schaute er sich wieder um. Die Köpfe an den Fenstern verschwanden hinter den Vorhängen, wenn er hinsah. Ein Mann in Armeejacke mit Zigaretten und einem Gesicht, das wirkte, als hätte die Sonne es gehärtet. Schlösser vor den Trailertüren. Gewehre, die er gegen seine Wohnwagentür gelehnt hatte. Cohen ließ den Kopf zurückfallen. Der Whiskey machte ihn schwindelig. Er hob den Kopf wieder an, um das Schwindelgefühl loszuwerden.
»Was ist das für ein Zielrohr auf deinem Gewehr?«, fragte er und deutete mit dem Kopf auf die Waffe, mit der er angeschossen wurde.
»Eins, mit dem man in die Ferne sehen kann.«
»Und ich schätze, man kann damit auch im Dunkeln sehen.«
Aggie nickte. »Es ist erstaunlich, was man so alles in den Händen von toten Männern findet.«
»Wie viele tote Männer hast du schon gesehen?«
Aggie streckte die Hände aus und ließ sich die Handflächen vom Feuer wärmen. »Genug. Jeder, der hier unten unterwegs ist, hat genug davon gesehen. Wenn das Wetter sie nicht fertigmacht, dann halt was anderes.«
Cohen schaute sich um. Hinter einem Fenster blitzte ein Licht auf.
»Wer sind die?«
Aggie hob den Kopf und ließ seinen Blick von einem Wohnwagen zum nächsten gleiten, ganz langsam, als würde er sich über jeden Einzelnen ein paar Gedanken machen. »Möchtest du was essen?«
Cohen bewegte vorsichtig sein Bein und brummte vor sich hin.
»Ich will nichts essen.«
»Ich hab jede Menge.«
»Warum sind die eingeschlossen?«
»Trink noch was von dem Whiskey. Mit deinem Bein kannst du den gut gebrauchen.«
»Warum sperrst du die Leute ein?«, fragte Cohen mit erhobener Stimme. Er hatte keine Angst vor dem Kerl. Er hatte vor überhaupt nichts Angst im Moment. Er war angeschossen und gefangen genommen worden, hatte sein Haus verloren, und nun saß er hier auf dem nassen Boden zwischen im Kreis aufgestellten Wohnwagen, die mit Seilen im Boden verankert waren, und es war ihm alles egal. War sich nicht sicher, ob man ihm einen Gefallen getan hatte, indem man ihn am Leben ließ, aber es war ihm sowieso egal, und wenn er sterben musste, dann wollte er wenigstens ein paar klare Antworten haben, bevor dieser alte Knacker ihn abknallte, der ja offenbar so eine Art Gefängniswärter oder Slum-Aufseher war. Er war hergekommen, um Elisas Andenken zurückzuholen, und er wusste, dass der Junge und das Mädchen sich hinter einer der verschlossenen Türen befanden, und das war alles, was ihn interessierte.
Aggie stand ruhig da und wärmte sich die Hände.
»Wo sind der Junge und das Mädchen?«
Keine Antwort.
»Das Mädchen hat was, das mir gehört. Ich will’s zurück, und außerdem brauch ich Benzin, und dann mach ich mich auf den Weg. Ich will zur Linie.«
Aggie lachte leise. »Welche Linie?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Du hast wohl einige Zeit in einem Loch in der Erde verbracht, nicht in deinem hübschen kleinen Häuschen.«
Cohen richtete sich auf. »Was soll das heißen?«
Aggie wandte sich vom Feuer ab und ging langsam auf einen Stapel Betonblöcke auf der anderen Seite des Feuers zu und setzte sich darauf. »Die Linie ist unser Problem.«
»Ich weiß nicht, was du für Probleme hast. Ich hab kein Problem damit.«
»Die Linie ist für uns alle ein Problem. Für die darüber und für die darunter. Für die, die sie gezogen haben. Sie ist ein Symbol des Hasses. Der Angst. Ein Symbol des Unglaubens.«
Cohen nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Die Linie tut nichts weiter, als mit dem Finger auf uns zu zeigen«, fuhr Aggie fort. Er kreuzte die Beine und verschränkte die Arme. »Sie sagt uns, dass
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