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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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oder blau gestrichen worden wäre. Er dachte an das kleine, namenlose Ding, das mit ihr gestorben war, und dachte an das kleine Ding, das da in dem Wohnwagen um sein Leben kämpfte, während die Frauen hilflos herumstanden, als wären sie in eine Zeit zurückgestoßen worden, in der die Menschen keine andere Möglichkeit hatten, als die Hände zu ringen und zu beten. Die Schreie und Gebete waren zu hören, aber es kam keine Antwort. Die Sonne kroch über den Rand des Horizonts, und irgendwo lagen Menschen in warmen Betten, und irgendwo würde es ein schöner Tag werden.
    In diesem Augenblick zog Cohen seinen Mantel und seine Hemden hoch, knöpfte das Messeretui auf und zog das Messer heraus. Er hielt es in der rechten Hand und bewegte es vor sich hin und her. Aggie riss die Augen auf und sprang zurück, aber Cohen stürzte sich nicht auf ihn. Er ging zum Wohnwagen, aus dem die Schreie kamen. Als er dort angekommen war, zog er die Tür auf und ging ohne zu zögern hinein. Er sah das Blut, und er sah den Schmerz und Ava, die zwischen den Beinen der Frau kniete. Sie drehte sich um und sah ihn an, und er schob sie aus dem Weg.

19
    Am Morgen des vierten Tages in Venedig erwachten sie im blassen Sonnenlicht. Elisa drehte sich zu Cohen um, küsste ihn und sagte, ich geh dann mal joggen.
    Cohen fasste nach ihr, als sie aufstand, aber sie schob seine Hand lässig weg und trat ans Fenster.
    »Ich kann echt nicht glauben, dass du deine Joggingschuhe mitgebracht hast«, sagte er. »Wir sollten mal darüber reden, was das Wort Urlaub eigentlich bedeutet.«
    Sie zog das T-Shirt aus, in dem sie geschlafen hatte, zog die weißen Vorhänge auf und blieb vor dem offenen Fenster stehen, nur bekleidet mit der Unterhose, die sie am Vortag gekauft hatte und auf deren Hinterseite CIAO geschrieben stand.
    »Was machst du denn da?«, fragte er.
    Sie streckte die Arme und sah wunderschön aus im Licht des frühen Morgens.
    »Wir sind in Italien. Das interessiert keinen«, sagte sie. »Fühlt sich gut an.«
    Er sah ihren von Sommersprossen übersäten Rücken an, ihre Schultern, und hätte sie am liebsten geschnappt und zurück ins Bett gezogen, um irgendwas Wildes mit ihr zu veranstalten. Er war schon kurz davor, aufzuspringen, als sie vom Fenster wegtrat und den Schrank neben sich öffnete. Sie holte eine Shorts, ein Top und ihre Joggingschuhe heraus und zog sich an.
    »Nur eine kurze Strecke«, sagte sie »Ich muss den Wein ausschwitzen, den wir gestern in uns reingeschüttet haben.« Auf dem Nachtschränkchen stand eine leere Weinflasche und auf dem Boden eine zweite.
    »Du wirst dich verlaufen«, sagte er.
    »Wahrscheinlich. Dann frag ich mich halt durch.«
    »Na gut«, sagte er und drehte sich um. »Ich bin bestimmt noch hier, wenn du zurückkommst.«
    Sie schnürte ihre Schuhe und holte die Jogginguhr aus dem Koffer. Dann gab sie ihm einen Kuss und ging nach draußen. Er hörte, wie sie im Treppenhaus nach unten lief.
    Zwei Stunden später wachte er auf, und von draußen drang die Stimme eines Tenors herein. Elisa war noch nicht zurück. Er schaute zweimal auf die Uhr, um sicher zu sein, dass sie wirklich schon so lange weg war. Tatsächlich sollte sie schon längst zurück sein. Ein kurzer Lauf hieß für Elisa normalerweise fünfundvierzig Minuten. Vielleicht eine Stunde.
    Er duschte ausgiebig, rasierte sich und putzte die Zähne. Als er fertig war, fragte er sich, ob er sich auch nackt vors Fenster stellen sollte wie Elisa, aber dann wurde ihm klar, dass ihre Umrisse einen wesentlich interessanteren Anblick boten. Er zog Jeans und ein weißes T-Shirt an und ging ans Fenster, um nach draußen auf den Innenhof zu sehen. Weinreben rankten sich aus großen Kübeln über ein Gitter, in den Blumenkästen vor den Fenstern leuchteten rote Blüten. Einige schmiedeeiserne Tische waren besetzt, da es nicht regnete, und eine junge Kellnerin lief zwischen ihnen hin und her und verteilte Kaffee und Brotkörbe.
    Bestimmt ist sie so weit gelaufen, bis sie sich verirrt hat, überlegte er, und dann hat sie ein junger Italiener aufgegabelt. Und jetzt sitzen sie auf seinem kleinen Boot, das sie zu seinem größeren Boot bringen wird, und nächstes Jahr um diese Zeit spricht sie fließend Italienisch und steht nackt vor ihrem eigenen Schlafzimmerfenster mit ihrem neuen italienischen Lover, den sie gegen den alten italienischen Lover eingetauscht hat.
    Er lächelte, fand den Gedanken aber nicht allzu witzig, denn das alles kam ihm nicht unmöglich vor,

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