Nach der Hölle links (German Edition)
nichts Schöneres vorstellen als einen Eierkuchen; von oben bis unten bedeckt mit Sirup oder Marmelade. Nein, Sirup und Marmelade. Andreas war sich sicher: So hungrig war er nie zuvor gewesen. Oder so zufrieden mit sich und der Welt. Heute Nacht konnte er fliegen. Er musste nur die Flügel ausbreiten.
Eine Berührung an seinem Arm, kurz bevor er den Bürgersteig erreichte. Sascha drehte ihn zu sich um. In seinem Rücken tauchte ein Zaunpfosten auf, gegen den er sich lehnte. Leider nichts, was man essen konnte. Zu schade.
»He!«, rief Sascha und klopfte ihm ein paar Mal ins Gesicht. Er bemühte sich um Ernsthaftigkeit, konnte sein Grinsen jedoch nicht im Zaum halten. »Reiß dich zusammen.«
»Nein«, nörgelte Andreas und stieß ungeniert auf. »Ich habe Hunger, verdammt noch mal. Los, wir machen Eierkuchen. Wie Ivana früher.«
Belustigt griff Sascha sich an die Stirn und sagte etwas. Andreas schnupperte. Wie gut Sascha roch, besser als die Heckenrosen. Nach Bier, einem Rest Deodorant, Schweiß und sich selbst. Das Hören fiel Andreas schwer. Tausend Laute drängten auf ihn ein, sodass er das unterdrückte Murmeln Saschas kaum aus den Umgebungsgeräuschen herausfiltern konnte.
»Was?«, fragte er mit schwerer Zunge. Seine Haut kitzelte. Es war wunderschön.
»Fress-Flash. Ich sagte, du hast einen Fress-Flash«, schnaubte Sascha vor Lachen. Liebevoll legte er seine Unterarme auf Andreas’ Schultern.
»Fräss … fress-fläsch?«
»Ja, du Pappnase.« Es klang unglaublich sanft. Andreas wollte sich in Saschas Stimme hineinschmiegen. »Was glaubst du denn, was die in der Küche geraucht haben? Schokoladenzigaretten? Ist dir nicht aufgefallen, dass es komisch roch? Du bist ja völlig breit.«
Eine Denkfalte bildete sich auf Andreas’ Stirn. Er verstand Saschas Worte, aber er konnte sie nicht umsetzen. Ihm war leicht zumute, schwerelos geradezu. Wäre da nicht der Eindruck des nahenden Hungertods gewesen, er hätte nichts dagegen gehabt, bis ans Ende seiner Tage an diesem Zaun zu stehen. Wenn dies das Ergebnis war, wenn man Alkohol und Psychopharmaka mit Marihuana mischte, wollte er mehr davon.
He, wann hatten sich seine Arme eigentlich um Saschas Hüften gelegt?
»Ist das schlimm?«, fragte er schließlich kindlich-naiv. »Mir geht’s doch gut.«
Sascha prustete von Neuem los und konnte sich kaum beruhigen. Mit dem Zeigefinger streichelte er Andreas’ Kinn. »Nein … nein, das ist nicht schlimm. Hauptsache, du fühlst dich wohl.«
»Tue ich. Aber ich habe Hunger.«
»Die Platte hat einen Sprung.«
»Welche Platte?«
»Vergiss es.«
»Okay …«
Das Gespräch verschwand. Pfeifend spazierte es zwischen ihnen hindurch und ging seine eigenen Wege. Es schlenderte über den Pfad, den zuvor ihr Verstand genommen hatte, direkt ins Körbchen. Andreas’ Sinn für Vernunft hatte sich verabschiedet, als er nach dem zweiten Bier weitertrank. Und obwohl jeder Arzt vor Entsetzen über den Cocktail in Andreas’ Blut die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte, war er zufrieden und fühlte sich gut. Nein, hervorragend. Fantastisch. Die Nacht, die Party, die vielen freundlichen Leute, Sascha. Normalität in ihrer reinsten Form. Da konnte er doch nur glücklich sein.
Andreas war von den feinen Wimpern unter Saschas Augen fasziniert. Nie zuvor hatte er sie bemerkt. Er fragte sich, woher die kleine Narbe auf der Stirn stammte. Ein besonders hartnäckiger Pickel vielleicht? Der Geruch, der von Saschas Armen ausging, betäubte ihn.
Andreas sinnierte, warum ihm diese Mischung aus Mann und Schweiß und Nacht und Leben so nahe ging. Sie roch nach Heimat, vermutete er. Er fand darin ein Zuhause, das er vor langer Zeit verloren hatte.
Plötzlich melancholisch hob Andreas die Hand und strich Sascha mit den Fingerspitzen über die Lippen. Auch dieser Mund war einmal Heimat für ihn gewesen. Lange her, aber nie vergessen. Dafür umso heftiger vermisst.
Der Moment verflog, als Andreas’ Magen ihn nachdrücklich daran erinnerte, dass er zu leer war. Himmel, er könnte ein ganzes Schwein verspeisen. Und eine Tafel Schokolade. Falls sich dazu noch eine Packung Chips fand, war das auch in Ordnung.
»Wir gehen«, entschied Andreas überraschend bestimmt. »Wir gehen jetzt zu mir nach Hause und plündern den Kühlschrank. Keine Widerrede.«
Ohne zu warten, löste er sich vom Zaun und wandte sich zum Gehen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Sascha ihm folgen würde.
Kapitel 29
»Was war denn das?«
»Ein Ei,
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