Nach der Hölle links (German Edition)
meine Handy-PIN zusammenkriege. In drei Wochen wieder?«
Die zweite Nachricht stammte von Katja und enthielt Details zu ihrer Ankunft in Hamburg sowie die schwesterliche Bitte, ihr beim Umzug zu helfen. Ihr Vater würde sie begleiten, über Karen Suhrkamp verlor sie kein Wort. Dass Sascha seiner Schwester beistand, war selbstverständlich. Es fühlte sich etwas eigenartig an. Sie hatte ein Zimmer in einem Wohnheim gefunden, während er bei seiner Tante unterschlüpfen musste. Verkehrte Welt.
Hauptsache, sie wurde mit ihrem Studienfach glücklich. Sascha hatte keine Ahnung, wie Katja ausgerechnet auf Physik gekommen war, aber er musste ja glücklicherweise nicht ihre Vorlesungen besuchen. Darüber hinaus war er froh, dass Katja nach Hamburg kam. Zum einen gönnte er ihr, dass sie ihr Heimatdorf verlassen konnte, um die weite Welt zu sehen. Zum anderen hatte sie ihm gefehlt.
Wenn er überlegte, wie sie sich früher in den Haaren gelegen hatten – durchaus auch im wörtlichen Sinne –, war es ein Wunder, dass sie sich heute so gut verstanden.
Katja war eine hervorragende Menschenkennerin geworden und hatte ihm im ersten Jahr nach der Trennung von Andreas manche Wahrheit entlockt, die ihm schlecht über die Lippen ging.
Seine kleine Schwester …
Sascha lächelte müde, bevor er sich aufraffte, ihre Mail zu beantworten. Das schnelle Tippen auf der Tastatur lenkte ihn von der Enttäuschung ab, die ihm in den Knochen saß.
Keine Nachricht von Andreas. Nicht auf dem Handy, nicht auf dem Rechner. Keine Chance, sich zu erklären und die Dinge gerade zu rücken. Keine Möglichkeit herauszufinden, ob er ihn verärgert oder – Sascha mochte nicht einmal daran denken – vertrieben hatte.
Drei lange Jahre waren vergangen, und wieder hatte er sich in eine Situation manövriert, in der er überfordert war. Es brauchte einen Hochseilartisten, um alle Unwägbarkeiten in Andreas’ Psyche auszugleichen. Sascha wusste nicht, ob er für das Drahtseil geeignet war. Wann war er verdammt noch mal so unsicher geworden? Früher hätte er sich in den Bus gesetzt und wäre zu Andreas gefahren, um mit ihm zu reden. Allerdings waren sie da ein Paar gewesen. Sascha liebte die Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit, so holperig sie manchmal auch gewesen war. Dass sie nun wieder an einem schwierigen Punkt standen, empfand er als anstrengend. Zeitgleich war er sich sicher, was er wollte. Es mochte schwierig sein, Andreas in seinem Leben zu haben, aber weit angenehmer, als auf ihn zu verzichten.
»Du klingst, als hättest du dich richtig böse verknallt«, sagte Sascha in den leeren Raum hinein und fand, dass sich diese Worte gar nicht schlecht anhörten.
Verliebt. Nils war bei aller Freundschaft ein sauber umrandeter, gechlorter Hotel-Pool gewesen. Andreas hingegen war der Ozean. Wild, unberechenbar, mit unsichtbaren Riffen unter der Wasseroberfläche und Tagen, an denen man vor angespülten Algen und Feuerquallen kaum das Ufer erreichen konnte. Das eine war bequem. Das andere war real. Sascha vermutete, dass er eher ein Mann für das offene Meer war.
Er beendete die Mail an Katja und schickte sie ab. Gerade, als er den Laptop zuklappen wollte, fiel ihm auf, dass in der Zwischenzeit weitere Post eingetroffen war. Eine Werbung für Viagra, ein Rundschreiben der Fachschaft, das Hilfegesuch von einer Kommilitonin, die ein Buch verloren hatte, eine Mail von Andreas, Pokerchips zum Spottpreis, eine Penisverlängerung umsonst, wenn man zwei machen ließ.
Halt. Post von Andreas?
Saschas Finger waren steif, als er vorsichtig den Cursor auf die Nachricht führte und schluckend einen Doppelklick machte. Was erwartete ihn und warum konnte Andreas keinen Betreff eintragen, verflucht noch mal?
Die Botschaft war knapp, aber sie ließ Saschas Herz kurz aussetzen.
»Hey, Mann. Ich weiß nicht, an was du dich von der Party erinnerst, aber du hast behauptet, dass du alle gängigen Schokoladenhersteller am Geschmack erkennen kannst. Ich war vorhin einkaufen und habe jede Vollmilchschokolade eingepackt, die ich finden konnte. Die Kassiererin hat mich angeschaut, als hätte ich ein Rad ab. Also, wann kommst du vorbei, um den Beweis anzutreten? Keine Sorge, du kannst langsam essen. Ich habe eine Lieferung mit Blue-rays bekommen. Du weißt, was das heißt: lange Nächte.
So long, Andreas.«
Nach dieser Nachricht fiel es Sascha leicht, in den Schlaf zu finden. Dass der Laptop im Bett blieb, war ein Zufall und hatte selbstverständlich nichts damit zu tun,
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