Nach der Hölle links (German Edition)
hören. Die Stimmung in der WG war finster. Vorbei war die Zeit, in der sie gemütlich zusammen gefrühstückt hatten. Heute verdrückte Sascha sich mit einer Handvoll Müsli in sein Zimmer, Nils aß gar nichts und Svenja, die unter der schlechten Atmosphäre litt, stopfte sich einen Nutella-Toast nach dem anderen in den Mund.
Schlimmer als die Wohnsituation war jedoch das brennende Reißen in Saschas Seele, das nach Kühlung verlangte. Abhilfe konnte nur Andreas schaffen, und der war und blieb unantastbar.
Der Abend plätscherte an Sascha vorüber. Er trank mäßig, aber beständig. Ließ sich von Isa umarmen und schaffte es ein paar Mal, an den richtigen Stellen zu lachen. In Wirklichkeit war er weit fort.
»Kommst du nachher noch vorbei?«
Blaue Schrift auf schwarzem Hintergrund. Vertraute Formen um ihn herum. Er ist zu Hause, grinst zufrieden. Sein Pulsschlag ist eine Spur zu schnell. In ihm schäumen Lust, Sehnsucht und Zugehörigkeit.
»Wieso? Willst du mich sehen?«, tippt er zurück und will es hören.
»Muss nicht sein.«
Sascha kennt das schon. Wenn Andreas nicht »Ja« schreit, sondern schüchtern wird, geht es ihm nicht gut. Dann kann er nicht sein ruhiges Selbst anbieten, sondern das andere, das verletzliche. Jenes, das Sascha nicht nur scharf findet, sondern das in seinen Armen liegen und schwach sein will. Dieses Selbst drängt Andreas nie auf. Er schämt sich dafür.
»Ist etwas passiert?«, will Sascha wissen.
»Nur das Übliche«, kommt zurück. Also hat er Ärger mit den Eltern. Er fühlt sich allein. Es regiert die erstickende, lähmende Einsamkeit, die von Andreas Besitz ergreift, wenn die Wände der Villa ihm mehr Liebe entgegen bringen als die eigenen Eltern. Sascha hasst die von Winterfelds manchmal, weil sie nicht sehen können, was er sieht. Dann ergreift ein hässliches Gefühl von ihm Besitz, weil er heimlich denkt: »Kann ich Andreas so sehr lieben, dass es reicht? Wie soll ich das eigentlich schaffen?«
Aber er geht zu ihm. Er will es nicht anders. Sie liegen zusammen auf dem Bett, und Andreas schläft mit dem Kopf an seiner Schulter ein. Ihre Finger sind verschränkt. Von Zeit zu Zeit greift Andreas fester zu. Er sieht alt und jung zugleich aus. Saschas Kehle wird eng. Seine Hose auch. Er glaubt zu platzen. Und er ist glücklich, während das Universum für sie stillsteht.
Regen benetzte Saschas Gesicht und ließ ihn aus seiner Trance erwachen. Nicht der Absinth hielt ihn umschlungen, sondern seine Vergangenheit.
Er hatte sich von der Runde verabschiedet. Ihm war nicht nach Gesellschaft zumute. Sascha brauchte Freiraum, um nachzudenken. Es pulsierte genug Alkohol in seinem Blut, um eine gewisse Weisheit zu erlangen, aber nicht genug, um Schlangenlinien zu laufen oder eine Gefahr für die Allgemeinheit zu werden. Das Studium hatte ihn zu einem routinierten Trinker gemacht. Mensapartys wollten schließlich überstanden werden.
Es goss aus Eimern. Das Wasser trommelte mit brachialer Gewalt vom Himmel und schäumte die Rinnsteine entlang. Sascha reckte sich und hieß es willkommen wie ein Geschenk. Die Kopfschmerzen, die in Isas Wohnung von ihm Besitz ergriffen hatten, verflüchtigten sich. Er streckte die Zunge heraus und fing einzelne Regentropfen auf.
Eigentlich war das Leben unglaublich einfach. Man musste nur mutig sein und dem Schicksal eine Chance geben. Sich nicht in Kleinigkeiten verstricken und die großen Dinge tapfer angehen.
Nichts anderes hatte er vor, als er zur nächsten Bushaltestelle ging und sich ins Stadtzentrum chauffieren ließ. Von dort lief er zu Fuß über die Reeperbahn mit ihrem Farbenspiel zur Speicherstadt. Sein Ziel war die urige Kneipe, in der ihm die Vergangenheit begegnet war. Weiter würde er nicht gehen. Er half dem Schicksal in die richtige Richtung, ohne es zu betrügen.
»Whisky«, bestellte Sascha, als er sich an die polierte Theke setzte. Die Wirtin zog eine Augenbraue hoch, fügte sich aber seinem Wunsch. Feuchtigkeit löste sich aus seinen Haaren. Sascha lächelte versonnen.
Komm her, flüsterte es in ihm. Die Stimme war ihm fremd und vertraut zugleich. Sie gehörte zu dem Teil seiner Seele, der Andreas nie aufgegeben und Nils nie akzeptiert hatte.
Kapitel 12
Auflösung und Farbgebung waren so fantastisch, wie man es von einem Monitor dieser Preisklasse erwarten durfte. Dennoch hatte es einen Moment gegeben, in dem Andreas versucht gewesen war, ihn über die Brüstung der Dachterrasse in die Tiefe fallen zu lassen. Er hatte nur
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