Nach der Hölle links (German Edition)
Und wo vor allen Dingen war Andreas? So viel zu Christophers gutem Rat, Andreas in Frieden zu lassen, da keiner von ihnen einschätzen konnte, was ein Eingreifen in dessen Privatsphäre für Reaktionen nach sich ziehen konnte.
»Psychologie-Student Sascha Suhrkamp, Sie haben nichts begriffen. Sie werden ins erste Semester zurückgestuft und dürfen von vorne anfangen.« Diese Strafe hätte er sich redlich verdient, aber die Sanktionen mussten warten, bis er zu Hause war und – noch wichtiger – seine Blase entleert hatte.
Als Sascha widerwillig aufstand, ekelte er sich vor dem Gefühl des feuchten T-Shirts auf der Haut. Seine Beine waren zu heiß in den Hosen, und er fühlte sich schmutzig. Er brauchte dringend eine kalte Dusche und ein strenges Alkoholverbot – oder wenigstens für zwei Wochen Abstinenz.
Seine von Absinth und Whisky vernebelte Erinnerung trog Sascha nicht. Die Flügeltüren führten in den hohen Flur, der von Regalen gesäumt wurde. Ein kleines Lächeln dämpfte Saschas Katerstimmung. Die Größe der Wohnung – sie befanden sich in Hamburg am Rande der Speicherstadt, ein praktisch unbezahlbares Pflaster – war typisch für einen von Winterfeld. Aber die Tatsache, dass sich Staubmäuse in den Ecken vergnügten, eine Jeansjacke am Boden lag und Schuhe unter- und übereinander neben der Tür standen, war ganz und gar Andreas.
Über das luxuriös ausgestattete Badezimmer wunderte Sascha sich nicht. Sehnsüchtig beäugte er die Sandsteindusche und stellte sich vor, seinen Kreislauf von den Massagedüsen mit höchstens lauwarmem Wasser auf Touren bringen zu lassen. Ein verführerischer Gedanke, aber er hatte Zweifel, dass er hier so willkommen war, sich guten Gewissens unter die Dusche stellen zu können.
Sascha griff sich an den Bauch. Pfui, ihm war übel.
Nachdem er sich erleichtert hatte, betrachtete er seine Erscheinung im Spiegel. Wie das blühende Leben sah er nicht aus. Rote Augen fixierten ihn müde. Anstelle eines ordentlich rasierten Kinns präsentierte er ein Stoppelfeld. Alles in allem attestierte er sich einen reichlich verklebten Gesamteindruck.
Kurz entschlossen zog Sascha sich das T-Shirt über den Kopf und wusch grob Gesicht und Oberkörper. Die Seife, die er verwendete, war ihm ebenso vertraut wie das Sammelsurium auf den gläsernen Armaturen: eine hölzerne Haarbürste, Andreas’ bevorzugte Zahnpasta, sein geruchsfreies Deodorant und natürlich die kleinen, schwarzen Haarbänder, die ihm allzu gern aus der Mähne rutschten. Selbst das Handtuch, mit dem Sascha sich abtrocknete, roch nach Vergangenheit. Er sollte nicht hier stehen, das Gesicht im Frottee versenken und den Duft inhalieren. Er tat es dennoch.
Als er das nächste Mal in den Flur trat, fühlte er sich kaum besser. Ihm war zwar weniger übel, aber es kam ihm vor, als würde er von einer Kolonie Feuerameisen bösartig in den Bauch gebissen. Das Zwicken der Tierchen nahm zu, als er aus einem der angrenzenden Räume Geräusche hörte. Eine Kühlschranktür klapperte, dann rappelte eine Besteckschublade.
Sascha atmete tief durch. Warum verschwand er nicht? Hinter ihm war die Wohnungstür. Er konnte gehen und so tun, als wäre er am Vorabend nicht betrunken in Andreas’ Leben eingedrungen. Ein Feigling würde auf diese Weise handeln und sich hinterher für lange Zeit fragen, was anderenfalls geschehen wäre. Doch Sascha wollte nicht schon wieder feige sein.
Andreas in der geschmackvoll eingerichteten Designerküche zu sehen, beschäftigt damit, sich Frühstück zu machen, war noch eigenartiger, als auf seiner Couch aufzuwachen. Es kam Sascha vor, als würde er einen Blick in einen Film werfen, dessen Anfang er nicht gesehen hatte. Entsprechend befremdlich war es, zu Andreas in die Küche zu treten, der sich weder zu ihm umdrehte, noch auf andere Weise signalisierte, ihn bemerkt zu haben.
Was sagte man, wenn man nach drei langen Jahren feststellte, dass man sich bis zum Filmriss betrunken hatte und zu einem Mann gerannt war, den man eigentlich gar nicht mehr kannte?
Saschas Knie wurden weich, als er Andreas mit dem Toaster hantieren sah. Der Drang, sich ihm zu nähern und von hinten die Arme um ihn zu legen, war erschreckend intensiv. Für Nils hatte er nie so empfunden. Bei ihm hatte er nie das Gefühl gehabt, ihn halten zu müssen, weil er sonst selbst wie ein Pulverfass in der Feuerwerksfabrik in die Luft zu gehen drohte.
Aufregung ließ Saschas Atem zittern, als er tiefer in die Küche trat und sich an den
Weitere Kostenlose Bücher