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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Gedanke, jedes peinliche Gefühl? Wenn sie dir nach und nach klar machen, dass du in einem Maße vernachlässigt worden bist, der an Gewalt grenzt? Dass man eigentlich ein Fall für das Jugendamt gewesen wäre? Dass kein Nachbar gesehen hat, dass du vor die Hunde gehst? Dass alles, was du für normales Familienleben gehalten hast, nichts als endlose Erniedrigung war? Wo warst du, als ich dich gebraucht habe? Und was gibt dir jetzt das Recht, hier aufzutauchen und reden zu wollen?«
    Erschüttert öffnete Sascha den Mund. Er wollte etwas einwerfen. Zumindest den Vorwurf, dass er Andreas nicht gesucht hatte, konnte er mit einem einzigen Satz abschmettern. Aber er brachte keinen Ton hervor. Sascha wusste nur, dass er Andreas nie so zornig und redselig gesehen hatte. Der Teenager, der nicht in der Lage gewesen war, seinem Innenleben eine äußere Form einzuräumen, war verschwunden. Wie hatte er damals gestottert, wie unfähig war er gewesen zu erkennen, dass andere ihn schlechter behandelten, als er verdiente. Mittlerweile wusste Andreas offenbar ganz genau, wem er was zu verdanken hatte.
    »Ich habe dir gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst«, warf Andreas ihm an den Kopf. »Und was machst du?« Seine Hände flogen wütend in die Luft. »Du besäufst dich und setzt dich auf meinen Schoss. Tust so, als wäre nie etwas passiert. Willst mir einreden, dass du mich vermisst. Fängst an zu kotzen und erzählst mir am nächsten Morgen, dass ich viel erreicht habe. Erreicht? Ich? Spar dir dein Mitleid. Ich hatte dein Mitgefühl nicht, als ich es brauchte. Und jetzt brauche ich niemanden, der auf mich herunterschaut und mir den Kopf tätschelt wie einem Hund, der gelernt hat, nicht in die Wohnung zu pinkeln.«
    Er trat nach einer offenen Schranktür, die stöhnend in ihr Magnetschloss schnappte.
    »Viel erreicht«, höhnte er. »Ja, wahnsinnig viel. Ich wohne allein, weil meine Eltern mich krankmachen. Und ich quäle mich jeden verdammten Scheißtag ins Tierheim, um am Ende der Woche sagen zu können, dass ich gearbeitet habe. Hier Aktivitäten und da Praktikum und dann wieder der Therapeut im Nacken, der will, dass ich meine Eltern an mich ranlasse und Menschen vertraue und hier und da. Alles ist geregelt. Ich hangele mich an meinem Terminplan entlang und sehe zu, dass ich das Beste daraus mache. Ist es das, was du für Erfolg hältst? Bist du deswegen hier? Weil du mich in der Kneipe gesehen hast und auf einmal was mit mir anzufangen ist? Nicht mehr der Typ, der in seinem Zimmer eingesperrt lebt, sondern das, was du wolltest? Jemanden zum Feiern, Saufen, ins Kino gehen? Sorry, da muss ich dich leider enttäuschen. Es hat sich nichts geändert. Ich hasse es, draußen zu sein. Und selbst wenn: Ich will niemanden in meiner Nähe haben, dem ich nicht gut genug war, als er nicht mit mir Gassi gehen konnte.«
    »He!«, ließ Saschas Starre nach. Ihm war, als hätte eine Hundertschaft Bogenschützen auf ihn angelegt und ihn mit ihren Pfeilen durchlöchert. Taubheit dämpfte seinen Verstand und selbst sein Körpergefühl. »Ich weiß, dass ich mich wie ein Arschloch benommen habe. Aber ich habe dich gesucht. Ich habe dich ewig gesucht!«
    »Ist klar. Und gerade jetzt hast du mich gefunden? Jetzt, wo es mir in den Augen einiger Leute besser geht? Netter Versuch.«
    »Du glaubst mir nicht?«, hakte Sascha verletzt nach.
    »Überlegen wir mal«, erwiderte Andreas leutselig. »Nein, tue ich nicht. Falls du dich nicht erinnerst: Wir waren Nachbarn. Meine Eltern haben nebenan gewohnt.«
    »Die mir nichts gesagt haben! Kein Wort. Du hättest tot sein können, und ich hätte nichts davon erfahren.«
    »Oh, ich war tot. Mausetot. Du hast mich umgebracht«, schrie Andreas Sascha unvermittelt entgegen. »Und jetzt …« Er verhaspelte sich, und ein irritierter Ausdruck glitt über seine Miene, als würde er seinen eigenen Gedanken lauschen und darin etwas finden, was er nicht erwartet hatte. Er schüttelte den Kopf. Eine Maske aus Eis schob sich über seine Züge, bevor er ungleich leiser hinzufügte: »Aber das ist jetzt auch egal. Es ist egal, was damals passiert ist. Denn ob du mich nun gesucht hast oder nicht, es gibt nichts mehr, was uns verbindet. Es gibt für dich keinen Grund, hier zu sein.«
    »Du kannst doch nicht ignorieren, dass ich dich nicht so allein gelassen habe, wie du dachtest«, flüsterte Sascha. Ihm tat alles weh, besonders die Brust und der Magen. Nur die Kopfschmerzen waren in den Hintergrund gedrückt.
    »Doch. Es

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