Nach der Hölle links (German Edition)
unsortierter Empfindungen in Andreas’ Brust ließ ihn nach der Obstschale schlagen. Ein paar altersbraune Bananen verteilten sich über den Fußboden, und er wollte darauf herumspringen wie ein böses, kleines Kind.
Kind sein. Mann sein. Erwachsen sein.
» Du hast viel erreicht. «
Schnaubend vor Zorn nahm Andreas seine Runden wieder auf. Viel erreicht. Er? Oh ja, er war jetzt nicht mehr zu 100 Prozent, sondern nur noch zu 75 Prozent erbärmlich.
Hey, er konnte alleine einkaufen gehen. Sah von außen toll aus, nicht wahr? Natürlich, denn man konnte ihm ja nicht an der Nase ansehen, dass er jedes Mal spätestens hinten am Kühlregal zwischen Buttermilch und Magerquark am liebsten in den Gang kotzen würde. Die Gemüsetheke war in Ordnung. Den Weg an den Brotregalen entlang zur Marmelade meisterte er. Aber sobald er die Tiefen des Ladens erreichte und die Eingänge fern waren, begann es. Dann musste er darum kämpfen, die Angst anzunehmen, was jedem Instinkt widersprach, und seinen Einkauf wie geplant zu Ende zu bringen. Weglaufen zählte nicht. Flucht machte alles schlimmer.
Sascha hatte keine Ahnung, wovon er redete. Trotzdem nahm er sich das Recht, in Andreas’ Leben zu trampeln und ihn durcheinanderzubringen. Schlief friedlich auf seiner Couch, als wäre er willkommen. War er nicht. Nicht in Andreas’ Wohnung, nicht in seiner Erinnerung, nicht in seinen Gedanken. Nirgendwo.
Als Andreas das nächste Mal an der Tür zum Flur vorbeikam, zwang er sich, inne zu halten. Er hatte Herzrasen; keins von der guten Sorte.
»Nun reiß dich mal zusammen, Junge«, rief er sich zur Ordnung und lehnte die merkwürdig taube Stirn gegen den Türrahmen. Sein Blick klammerte sich an einem Astloch vor seiner Nase fest und wollte nicht mehr loslassen. Er war erschöpft und doch zu aufgedreht, um sich hinzulegen. Er war hungrig, aber allein bei der Vorstellung, sich seinen lieblos zurechtgemachten Toast in den Mund zu schieben, sprang die Magensäure seine Speiseröhre hoch.
Er musste sich beruhigen.
Was war denn schon passiert? Andreas hatte die Nerven verloren und alles herausgeschrien, was in ihm geschwelt hatte. All die Sachen, die seit Jahr und Tag in ihm gearbeitet und ihm in der vergangenen Nacht im Bett Gesellschaft geleistet hatten. Er hatte sie ausgesprochen und damit genau das getan, was er nie wollte.
Er hatte zugegeben, wie tief er verletzt worden war. Dabei war er fest entschlossen gewesen, zu schweigen und den ungebetenen Gast auf höflich-gelassene Weise aus seiner Wohnung zu komplimentieren. Weder die Genugtuung noch den Einblick in sein Innerstes hatte er Sascha gegönnt.
Als Andreas den Kopf hob, drehte sich die Welt um ihn. Er glaubte, jeden Augenblick zu stürzen. Es war höchste Zeit sich hinzulegen. Sollte er Köninger anrufen? Nein, dieses Mal nicht. Verbissen verengte Andreas die Augen. Er würde seinen Therapeuten nicht anrufen, um sich sagen zu lassen, dass die Aussprache viel Gutes an sich habe. Er würde sich nicht anhören, dass es sicherlich gut für ihn gewesen war, seine Gefühle zu offenbaren. Immerhin war dadurch die Chance gegeben, sich auf neue Beziehungen einzulassen oder Sascha eine …
»Vergiss es!«, schrie Andreas sich selbst an und zuckte unter dem scharfen Ton seiner eigenen Stimme zusammen. Gleichzeitig legte das Schwindelgefühl schwammige Finger um seine Kehle und drückte zu. Von einer Sekunde zur nächsten war Sascha vergessen. Stattdessen ergriff Angst von Andreas Besitz.
»Komm runter«, befahl er sich. »Du weißt genau, was gerade vor sich geht und warum es passiert. Kein Grund, die Nerven zu verlieren.«
Aber die tausendfach erprobten Mechanismen seiner Psyche interessierten sich nicht für die Ermahnungen. Sie quietschten unter der Last der Überforderung und leiteten das Notfallprogramm ein, trieben ihn in die irrationale Angst, die es möglich machte, die Realität zu vergessen. Es funktionierte tadellos.
»Ich muss mich hinlegen. Warum ist niemand hier? Oh, mein Gott, ich verliere mich. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr«, raunte es unter Andreas’ Schädeldecke.
Er geriet in Panik, in seiner eigenen Wohnung. Diese neue Furcht hatte nichts mit seiner ursprünglichen Erkrankung zu tun. Ihn überfielen diffuse Ängste, für die es keine Ursache gab. Ängste, denen man nicht entgehen konnte, weil sie nicht an einen Ort, ein Objekt oder eine Person gebunden waren. Einfach Angst. Rein und unverfälscht.
Er begann zu schwitzen. Gehetzt sah er sich um. Was
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