Nachhilfe in Erster Liebe
»Die Samen von der Lorbeerweide kann man im Winter aussähen. Dann gibt’s bis Ostern vielleicht schon ’n kleinen Strauch. Wir haben das grad in Bio. Mit Probesamen zum Austesten und so.«
So irritiert wie vorher meine Mutter und Jan mich anstarrten, so irritiert starren nun meine Mutter und ich auf Jan. Ich frage mich, ob er einfach ein genialer Lügner oder etwa ein durchgeknallter Botanikfreak ist. Meine Mutter fragt sich das ganz offensichtlich nicht, denn sie lächelt Jan nun total entzückt an. »Wenn du dich sooo gut auskennst«, flötet sie, »dann könntest du Katja doch auch mal Nachhilfe in Biologie geben.«
Warum wollen Mütter eigentlich Kinder, wenn sie sie dann als Idiot vorführen? Um sich selbst weniger als Idiot zu fühlen? Interessante Theorie, aber Jan reißt mich sofort aus meinen Grübeleien.
»Katja kommt bestimmt auch so klar.«
Heißt das jetzt, Jan hält mich nicht für ’n Idiot, sondern für schlau oder will er mich auf keinen Fall noch öfter sehen müssen?
Für heute scheint’s ihm jedenfalls zu reichen, denn er verabschiedet sich jetzt von meiner Mutter. Ich gehe mit ihm noch bis an die Haustür.
»Danke für die Rettung eben. Dass dir so was einfällt? Krass«, flüstere ich anerkennend.
»Das mit der Lorbeerweide im Winter stimmt. Die gibt’s wirklich.«
Ich glaub’s einfach nicht. Jan grinst. »Hatten wir echt mal in Bio. Ihr nicht?« Schulterzuckend behaupte ich, an dem Tag bestimmt krank gewesen zu sein, aber ich werde mal in mein Biobuch gucken, ob’s stimmt. Und wenn es stimmt, wäre das echt eine gute Idee, Weidensamen in unserem Garten auszusähen. »Wenn dann die Weidenkätzchen blühen, passt das doch zu Kassiopeia. So als Erinnerung.«
Jan lächelt mich ein paar Sekunden lang einfach nur an. Jetzt verstehe ich erst wirklich, wieso es heißt, alles sei relativ, auch die Mathematik. Besonders die Mathematik! Denn wieso sonst könnte sich die kleine Zeiteinheit Sekunde plötzlich ausdehnen wie eine Ewigkeit?
»Du bist echt total klasse, Katja, danke«, sagt Jan dann noch, als er geht, und ich fühle mich danach so glücklich und beschämt zugleich, weil für dieses Glück eine Katze sterben musste. Mit dem Vorsatz, mich dafür wenigstens immer gut um ihr Grab zu kümmern, schlafe ich in dieser Nacht ein.
9. Kapitel
S obald ich am nächsten Morgen wach bin, denke ich nur an Jan und wie es ihm nach unserer Beerdigung wohl geht. Ich kann es kaum erwarten, ihn in der Pause zu sehen. Wir Mädchen stehen wie immer zu viert zusammen. Verstohlen sehe ich zu Jan und hoffe, er gibt mir irgendein geheimes Zeichen, nickt oder zwinkert mir zu wegen gestern. Aber das Einzige, was ich sehe, ist, dass er schweigsam und muffig in der Ecke bei seinen Freunden steht.
Wie immer sieht Siri ebenfalls in Jans Richtung. Patricia natürlich auch. Und heute sogar Marie. Es muss aussehen wie bei einem Tennisspiel, wenn man die Zeit anhält, so festgefroren starren unsere Köpfe. Nur dass wir nicht einen Ball anstarren, sondern Jan.
»Irgendetwas stimmt nicht«, überlegt Marie. »Gestern hat Jan zum ersten Mal seit Jahren das Fußballtraining ausfallen lassen. Und als ich ihn abends angerufen habe, hat er mich angeblafft, dass mich das nichts angeht, und dann aufgelegt. Der spinnt doch.«
»Wenn er nicht schon so alt wäre, würde ich sagen, der kommt langsam in die Pubertät«, witzelt Patricia.
»Vielleicht ist er ja verliebt und hat deshalb keine Zeit mehr fürs Training?« Klar, dass Siri sofort so etwas fürchtet.
»Darf er nicht einfach mal ein Problem gehabt haben und deswegen keinen Bock auf Fußball?«, sage ich genervt.
Sechs Augen durchbohren mich, und ich könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht einfach meinen Mund halten konnte. Denn schon geht’s los.
»Wieso weißt du denn, dass er keinen Bock hatte?«
»Und woher kennst ausgerechnet du seine Probleme?«
»Genau. Wir sind deine besten Freundinnen. Also verrate uns schon, was los ist.«
Gefühltes Brombeerrot überzieht mein Gesicht. Dennoch versuche ich, möglichst cool zu bleiben, und zucke die Schultern. »Woher soll ausgerechnet ich was über ihn wissen? Ihr seid doch viel mehr an ihm interessiert oder viel öfter mit ihm zusammen.« Ich hasse es zu lügen. »Ich hab mir das einfach nur so gedacht. Guckt doch mal, wie übel der heute aussieht. «
Patricia baut sich vor mir auf. Sie ist sowieso schon viel größer als ich mit meinen 1,63 m, aber jetzt scheint es wirklich nur noch sie auf dieser Welt zu
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