Nachhilfe in Erster Liebe
sondern nur weiter vor sich hin starrt.
Dann glaube ich, mich verhört zu haben: Jan schluckt so komisch. Ich sehe ihn ganz genau von der Seite an, und obwohl ihm seine halblangen Haare so verdeckend vorm Gesicht hängen, glaube ich einen feuchten Schimmer in seinen Augen gesehen zu haben. Der wird doch nicht weinen wollen? Das wäre mir ja noch peinlicher als ihm. Völlig verblüfft fällt mir nichts Besseres ein, als ihn nur weiter blöd anzustarren.
»Macht’s Spaß, mir zuzugucken?«, giftet Jan mich irgendwann an. Ich zucke ratlos die Schultern. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, versuche ich es wiedergutzumachen.
»Da ist nichts mehr zu helfen«, dreht Jan sein Gesicht von mir weg, damit ich seine Tränen nicht sehe.
Ich kann’s überhaupt nicht fassen. Der tolle, coole Jan sitzt bei mir im Wohnzimmer und weint. Ich bin total überfordert mit dieser Situation, aber dann fällt mir zum Glück ein, dass meine Mutter sich manchmal einen Kräuterlikör einschenkt, wenn es ihr besonders schlecht geht. Erleichtert, dass ich endlich etwas tun kann, gehe ich zur Hausbar meiner Eltern und schenke ein.
Jan sieht irritiert auf das Glas Likör.
»Bewährtes Hausmittel, hilft garantiert«, sage ich so überzeugend wie möglich. Jan nimmt es tatsächlich und trinkt es leer. Er schüttelt sich kurz, atmet dann aber tief durch und wirkt tatsächlich ein bisschen ruhiger, als er sich schnell seine Tränen wegwischt. Ich setze mich wieder hin, aber so, dass ich ihn auf keinen Fall angucken muss, falls er doch wieder weinen muss.
»Kassiopeia ist tot«, sagt er nach einer Ewigkeit.
So weit ich weiß, ist Kassiopeia ein Sternbild. Das kann’s ja nicht sein. Jan muss mein Grübeln bemerkt haben. »Kassiopeia war meine Katze.«
»Mist«, entfährt es mir, und Jan nickt zur Bekräftigung. »Sie war erst fünf.«
»Überfahren?«, frage ich vorsichtig.
Jan schüttelt den Kopf. »Krebs. Der Tierarzt hat gemeint, es hat keinen Sinn mehr. Sie hat nix mehr gefressen, nicht mal mehr Fisch. Den wollte sie sonst immer.«
»Mein Opa hatte auch Krebs«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt.
»Vorhin hat er sie eingeschläfert«, schluckt Jan wieder.
»Wenn wirklich nichts mehr zu machen war … bevor sie noch mehr leiden muss …«, versuche ich Jan irgendwie zu trösten.
Jan nickt und ich sehe wieder Tränen in seinen Augen. Ich nehme das Glas in die Hand, weil ich mich immer noch total überfordert fühle und einfach hoffe, ein zweiter Likör hilft noch einmal. Aber Jan nimmt meinen Arm und hält ihn fest.
Genauso muss sich ein Stromschlag anfühlen, wenn man die E-Gitarre falsch anschließt. Meine Haare stehen bestimmt
alle vom Kopf ab, so irre fühlt sich seine Berührung an.
»Taschentuch wäre besser«, sagt er.
Als ich ihm eines gebracht habe und so vor mich hin überlege, kommt mir ein Gedanke.
»Was passiert eigentlich mit Tieren, wenn sie tot sind? Für Menschen gibt’s ja Friedhöfe.«
Jan erzählt, dass es in großen Städten auch schon Friedhöfe für Tiere gibt, aber nicht bei uns. Man darf sein Haustier aber zu Hause im Garten vergraben, wenn es mindestens fünfzig Zentimeter tief ist, oder man muss es beim Tierarzt lassen, der es dann entsorgt.
»Entsorgt, klingt echt übel.«
» Ist echt übel.«
»Dann hast du Kassiopeia mitgenommen?«
»Wir haben keinen Garten«, schüttelt Jan traurig den Kopf.
»Aber wir«, zucke ich die Schultern. »Und bis meine Eltern heimkommen, wäre ja Zeit …«
Was fasle ich da? Ich schlage Jan im Ernst vor, seine Katze in unserem Garten zu begraben? Wie wahnsinnig bin ich eigentlich?
Ich bin genial. Denn Jan ist einverstanden, ruft schnell beim Tierarzt an, um Bescheid zu sagen, dass er Kassiopeia wieder abholt, düst mit meinem Fahrrad statt seinem Waveboard zur Praxis, weil’s damit schneller geht und seine Katze besser zu transportieren ist, und kommt wieder zu mir.
Kassiopeia liegt in einem Pappkarton auf ihrer Decke.
Schön sieht sie aus, dreifarbig, mit ganz weichem Fell. Fast muss ich jetzt auch weinen.
Wir gehen in unseren Garten und nehmen Hacke und Schaufel aus dem Geräteschuppen. Dann suchen wir ganz hinten an den Büschen zum Nachbargarten einen Platz zum Begraben, ein bisschen versteckt, damit es meinen Eltern nicht auffällt. Dann geht’s los.
Doch die Erde ist steinhart und wir kriegen kaum ein Loch zustande. Es ist Februar, eiskalt und der Boden gefroren. Trotzdem bin ich nach kurzer Zeit schweißgebadet. Aber aufgeben kann ich vor
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