Nachhilfe in Erster Liebe
ich seine Wärme in meinem Rücken spüre. Will er mich etwa in den Arm nehmen? Schon umarmt er mich tatsächlich von hinten und hält meine Hände in seinen.
Und dann kapiere ich’s leider. Er tut es nur, weil er mir das richtige Reiben des Parmesans zeigt, den wir zum Überbacken brauchen. Aber das könnte er doch bestimmt auch, ohne mich so zu halten? Also bin ich ihm vielleicht doch alles andere als egal? Er mag mich. Oder liebt er mich sogar? Aber warum will er dann immer noch nicht zugeben, dass ausgerechnet
ich ihm Nachhilfe gebe? Warum bin ich ihm so peinlich?
Plötzlich reicht es mir und ich will es jetzt endlich wissen. Und schon habe ich Jan die Frage gestellt und es ist zu spät. Ich halte die Luft an, denn nun kommt sie: die schlimmste Abfuhr, die je ein Mädchen seit Erfindung der Menschheit erlebt hat.
»Das hat doch nichts mit dir zu tun«, antwortet Jan stattdessen verblüfft, und ich schaue mindestens ebenso verblüfft zurück.
»Es muss nur nicht jeder wissen, dass ich sooo schlecht bin, dass ich ohne Nachhilfe schon wieder sitzenbleibe. Ich hab schon mal wiederholt. Ist nicht besonders cool, für so dumm gehalten zu werden.«
Oh nein, ist es nicht! Ich weiß, wovon ich rede, denn die Dümmste bin zweifellos ich. Weil ich die ganze Zeit geglaubt habe, ich bin Jan peinlich. Weil ich überhaupt nicht darauf gekommen bin, dass es ihm peinlich sein könnte, auf Nachhilfe angewiesen zu sein, um die Klasse zu schaffen. Dabei weiß ich ja, dass er schon einmal wiederholen musste, weil er mitten im Schuljahr aus einem anderen Bundesland in unsere Stadt gezogen ist. Und dass er so wenig Zeit zum Lernen hat, weil er sich um Lars und den Haushalt kümmern muss.
»Du bist nicht dümmer als ich«, tröste ich ihn. »Manchmal bist du sogar viel schlauer. Zum Beispiel beim Kochen.«
Klar, dass ich bei ihm ans Kochen denke. Und jetzt kann ich’s auch hören und riechen. Denn vor lauter Reden haben wir die Kartoffeln vergessen, die zischend überkochen.
»Wie man sieht«, meint Jan trocken, zieht den Topf weg und wischt den Herd sauber.
Als alles im Ofen ist zum Überbacken, haben wir wieder Zeit weiterzureden. Das finde ich jetzt aber gar nicht mehr so toll, denn Jan nimmt mir noch einmal das Versprechen ab, niemandem von der Nachhilfe zu erzählen, und will dann unbedingt wissen, wie ich überhaupt darauf gekommen bin, ich könnte ihm peinlich sein.
»Weil du viel zu toll für mich bist«, kann ich ja wohl nicht sagen. Eltern meinen immer, man müsse ehrlich sein. Wenn sie das im Ernst meinen, waren sie noch nie in einer solchen Situation. Wie sie dann allerdings meine Eltern geworden sein können, weiß ich auch nicht. Vielleicht bin ich also doch verwechselt worden?
Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, habe ich jetzt aber nicht, weil ich mir Gedanken über eine gute Antwort machen muss. In letzter Zeit muss ich mir immer öfter gute Antworten ausdenken.
Um Zeit zu gewinnen, fange ich erst einmal mit einem »Na ja« an, seine Frage zu beantworten. Mit einem »Nur so« höre ich gleich danach schon wieder auf.
Jan gibt sich kurzerhand selbst die Antwort.
»Du bist überhaupt nicht peinlich.«
Danke.
»Abgesehen vom Waveboardfahren natürlich.«
Ich hab’s gewusst.
»Das findest du nicht mehr, wenn du mich erst mal Stricken siehst«, erzähle ich ihm mit finsterem Gesicht. Jan lacht.
»Du bist echt witzig.«
Fand meine Handarbeitslehrerin nie.
»Eigentlich weiß ich gar nicht, wieso Marie mit Siri befreundet ist und du mit Patricia.«
Jetzt verstehe ich wirklich nicht, worauf er hinauswill, und so schaue ich garantiert auch.
»Marie und du, ihr würdet viel besser zusammen passen.«
Ja, weil wir beide mit unseren braunen Durchschnittshaaren und Durchschnittsgesichtern nicht so toll aussehen wie Patricia und Siri.
»Wegen eurem Humor.«
Ja, man kann prima über uns lachen, weil uns ständig ein Missgeschick passiert.
»Und weil ihr beide voll in Ordnung seid.«
Ob ich meinen Vater doch um ein Hörgerät bitte?
»Überhaupt nicht zickig und man kann total viel Spaß mit euch haben.«
Das ist der schönste Tag in meinem Leben!
»Irgendwie seid ihr gar keine richtigen Mädchen.«
Das ist jetzt vielleicht doch nicht so schön.
»Du bist für mich ein echt super Kumpel geworden.«
Ja, voll super. Super Kumpel. So super, dass ich mir beim nächsten Besuch meinen Lipgloss sparen kann. Und alles andere auch. Und zu meinem nächsten Geburtstag wünsche ich mir dann gleich eine
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