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Kopf.
Um sich an etwas klammern zu können, konsultierte sie sogar ein Medium. Durch den Kontakt mit einem Kleidungsstück, das Alice getragen hatte, versicherte der Scharlatan, das Mädchen sei tot, und gab ihr die Adresse einer Baustelle, wo ihre Leiche angeblich verscharrt wäre. Madeline mobilisierte ein Team, um das gesamte Areal umzugraben. Natürlich vergeblich.
Als ihr Chef von dieser Aktion erfuhr, riet er ihr, sich ein paar Tage auszuruhen. »Sie müssen der Realität ins Auge sehen, Alice Dixon ist seit drei Monaten verschwunden. Das ist natürlich tragisch. Aber Sie wissen genau, dass die Chancen, sie jetzt noch zu finden, quasi gleich null sind. Es gibt andere Ermittlungen und andere Fälle, bei denen wir Sie brauchen …«
Madeline aber fühlte sich außerstande, an anderen Ermittlungen und Fällen zu arbeiten. Sie war zu allem bereit, um weiter die schwache Hoffnung zu nähren, Alice wiederzufinden.
Also beschloss sie, dem Teufel persönlich einen Besuch abzustatten.
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Kapitel 14
Der Intimfeind
Wir haben alle die Wahl.
Wir sind die Summe unserer Entscheidungen.
Joseph O’Connor,
Desperados
Madeline parkte den Zivilwagen vor dem Black Swan , einem Irish Pub, der seit mehreren Generationen im Besitz der Familie Doyle war.
Cheatam Bridge war eine kleine Enklave mit weniger als zehntausend Einwohnern, drei Kilometer nordöstlich vom Zentrum von Manchester. Nacheinander waren in das ehemals vorwiegend irisch geprägte Arbeiterviertel Inder, Pakistaner, Afrikaner und seit Neuestem Osteuropäer eingewandert. Dieses ethnische Gemisch hatte eine erstaunliche kulturelle Vielfalt hervorgebracht, war aber auch Ursprung eines mörderischen, mitleidlosen Bandenkrieges. Ein Eingreifen der Polizei war hier äußerst schwierig und die Kriminalitätsrate erschreckend hoch.
Kaum hatte Madeline den Pub betreten, rief jemand spöttisch:
»Hallo, Maddie! Weißt du eigentlich, dass du noch immer den knackigsten Hintern von allen Polizistinnen in Manchester hast?«
Sie drehte sich um und entdeckte Danny Doyle an der Theke vor einem Pint dunklem Bier, mit dem er ihr zuprostete. Seine Bodyguards lachten hämisch über diesen Witz.
»Guten Tag, Daniel«, sagte sie und trat näher. »Es ist lange her …«
Danny »Dub« Doyle, der »Finstere«, war der Chef eines der mächtigsten Clans der Unterwelt von Manchester. Der Pate einer kriminellen Familiendynastie, die seit fünfzig Jahren über das Reich von Cheatam Bridge herrschte. Mit Anfang dreißig hatte er bereits mehrmals im Gefängnis gesessen und ein ellenlanges Vorstrafenregister wegen Drogenschmuggel, Einbruch, Geldwäsche, Zuhälterei, Widerstand gegen die Staatsgewalt …
Danny war vor allem ein gewalttätiger Mensch, der in der Lage war, den Anführer einer rivalisierenden Gang auf einem Billardtisch zu kreuzigen. Mit seinem Bruder und seiner Bande hatte »Dub« mehr als zwanzig Menschen auf dem Gewissen, deren Tod oft mit Quälerei und extremer Brutalität verbunden gewesen war.
»Willst du ein Bier?«, fragte er.
»Lieber ein Glas Bordeaux«, antwortete Madeline. »Von deinem Guinness wird mir übel.«
Ein Murmeln erhob sich unter den Leibwächtern, die um Doyle herumstanden. Niemand würde es wagen, ihm gegenüber einen solchen Ton anzuschlagen – schon gar nicht eine Frau. Herausfordernd musterte Madeline die Gefolgsmänner des Gangsterbosses, erbärmliche Typen, die zu viel Scarface und Der Pate geguckt hatten. Sie versuchten, die Posen der Film-Gangster nachzuahmen, mit ihrem spießigen Aussehen und ihrem groben Akzent aber würden sie nie die Klasse eines Corleone erreichen.
Ohne die Stimme zu heben, fragte Danny den Barmann, ob er Bordeaux im Keller hätte.
»Bordeaux? Nein. Außer … vielleicht ist welcher in den Kisten, die Liam bei den Russen geklaut hat …«
»Dann sieh nach«, befahl Doyle.
Madeline blickte ihm in die Augen.
»Es ist dunkel hier drinnen, lass uns auf die Terrasse gehen, wenn das Wetter schon mal schön ist.«
»Ich folge dir.«
Doyle, ein komplexer und gequälter Charakter, teilte sich die Führung des Clans mit seinem Zwillingsbruder Jonny, der fünf Minuten nach ihm geboren war, aber nie den Status des Jüngeren akzeptiert hatte. Jonny litt an paranoider Schizophrenie, die ihn gewalttätig und unberechenbar gemacht und mehrmals in die Psychiatrie gebracht hatte – in seinem Fall angemessener als das Gefängnis. Von den beiden Brüdern war Jonny die blutrünstige
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