Nachrichten aus Mittelerde
diese Weise hatte sich Húrins Tochter seiner Bosheit zu erkennen gegeben. »Dann seid ihr Narren, du und dein Bruder«, sagte er. »Und deine Prahlerei soll vergeblich sein, denn ich bin Glaurung!«
Dann zwang er sie, in seine Augen zu blicken, und ihre Willenskraft schwand dahin. Und ihr war, als werde die Sonne schwächer und ringsum alles düster; allmählich überkam sie ein großes Dunkel, und in diesem Dunkel war Leere: Sie wusste nichts, hörte nichts und erinnerte sich an nichts.
Lange erkundete Mablung die Hallen Nargothronds, so gut er es bei der Dunkelheit und dem Gestank vermochte; aber er fand kein lebendiges Wesen dort: Nichts rührte sich inmitten der Knochen, und niemand antwortete auf seine Rufe. Niedergedrückt durch den grauenhaften Anblick des Ortes und aus Furcht, Glaurung könne zurückkehren, gelangte er schließlich wieder zu den Toren zurück. Im Westen sank die Sonne, und die Schatten der Faroth im Hintergrund lagen schwarz auf denTerrassen und dem tosenden Fluss in der Tiefe. Doch in der Ferne, unterhalb des Amon Ethir, glaubte er die widerwärtige Gestalt des Drachen erkennen zu können. Da Eile und Furcht ihn trieben, war die Rückkehr über den Narog schwieriger und gefährlicher, und kaum hatte er das Ostufer erreicht und war in ein Versteck gekrochen, als Glaurung nahte. Doch jetzt kam er langsam und verstohlen, denn die Feuer in seinem Innern waren heruntergebrannt: Seine große Kraft hatte ihn verlassen, und es verlangte ihn nach Ruhe und Schlaf in der Dunkelheit. So wand er sich durch das Wasser und schlich wie eine ungeheure aschgraue Schlange zu den Toren hinauf, und sein Bauch überzog den Boden mit Schleim.
Doch bevor er hineinglitt, wandte er sich um, blickte nach Osten zurück, und es entrang sich ihm das Gelächter Morgoths, schwach, aber entsetzlich wie ein bösartiges Echo aus den schwarzen Tiefen in weiter Ferne. Und dem Lachen folgte diese kalte und leise Stimme: »Da liegst du wie ein Maulwurf unter dem Ufer, Mablung, du Mächtiger! Du hast Thingols Aufträge schlecht ausgeführt. Eile nun zum Hügel zurück und sieh, was aus deinen Schützlingen geworden ist.«
Dann zog Glaurung sich in sein Versteck zurück, die Sonne ging unter, und ein grauer Abend legte sich frostig auf das Land. Mablung aber hastete zum Amon Ethir zurück, und als er zum Gipfel hinaufkletterte, gingen im Osten die Sterne auf. Oben sah er gegen die Sterne eine dunkle, reglose Gestalt stehen, als sei sie ein Bildnis aus Stein. So verharrte Nienor, und sie hörte nichts von dem, was er sagte, und sie gab ihm keine Antwort. Aber als er sie schließlich bei der Hand nahm, bewegte sie sich und ließ es zu, dass er sie wegführte; und solange er sie hielt, folgte sie, ließ er sie aber los, stand sie still.
Da waren Mablungs Kummer und Verwirrung groß, doch er hatte keine andere Wahl, als Nienor auf diese Weise, ohne Hilfe und Begleitung, auf den langen Weg nach Osten zu führen. Sogingen sie denn fort, schreitend wie Träumende, hinaus auf die nachtüberschattete Ebene. Und als der Morgen dämmerte, strauchelte Nienor, fiel und lag stumm da; und verzweifelt saß Mablung neben ihr.
»Ich habe diesen Auftrag nicht ohne Grund gefürchtet«, sagte er. »Er wird auch mein letzter sein, wie es scheint. Gemeinsam mit diesem unglücklichen Kind der Menschen werde ich in der Wildnis zugrunde gehen, und in Doriath wird man meines Namens im Zorn gedenken, falls man wirklich jemals Nachricht von unserem Schicksal erhalten wird. Alle Übrigen sind ohne Zweifel erschlagen; Nienor ist als Einzige verschont geblieben, aber nicht aus Barmherzigkeit.«
So wurden sie von drei Männern des Kundschaftertrupps gefunden; diese waren, als Glaurung sich näherte, vom Narog geflohen und, als nach langem Umherirren der Nebel sich gelichtet hatte, zum Hügel zurückgekehrt. Als sie ihn verlassen fanden, hatten sie begonnen, den Weg nach Hause zu suchen. Da schöpfte Mablung neue Hoffnung, und jetzt gingen sie zusammen weiter, ihren Weg einmal nach Norden, dann nach Osten lenkend, denn es gab keine Straße, die von Süden her zurück nach Doriath führte; überdies war es den Bootswachen seit dem Fall Nargothronds untersagt, jemanden überzusetzen, ausgenommen solche, die aus dem Landesinneren kamen.
Ihre Reise ging langsam vonstatten, denn es war, als führten sie ein ermüdetes Kind mit sich. Doch je weiter sie sich von Nargothrond entfernten und sich Doriath näherten, so kehrten auch Nienors Kräfte nach und nach
Weitere Kostenlose Bücher